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155Kirchenstreit
im ländlichen Hinterland
leidgetan habe: »Ach, der Arme [Don Ukmar] erbarmt uns, er ist ja doch
unschuldig an der Sache, aber wir brauchen ihn nicht, wir wünschen nur
eine Erledigung unserer Sache, aber selbst dafür ist es jetzt zu spät…«295
Don Ukmar erzählte von einer Frau, die als einzige die Gottesdienste
besucht hatte. Wegen der Drohungen ihres Mannes hätte sie sich aber nicht
mehr getraut, in die Kirche zu gehen.296 Er betonte, dass die Leute nett seien,
wenn man sich ihnen annähere. Er verglich deswegen seine Arbeit mit jener
eines Missionars, der »die Zivilisation« in ein wildes Dorf bringen solle: »Das
sind so Freuden eines Missionärs. Freilich haben die Kinder von europäi-
scher Kultur so viel wie nichts.« Er machte einige Wortführer im Dorf für
die Lage verantwortlich: »Verführt sind die armen Leute vom Gott abge-
fallen und werden von einigen gottlosen Anführern in diesem traurigen
Zustande gehalten.«297 Er zitierte einen älteren Dorfbewohner: Drei Viertel
der Menschen hätten laut ihm Angst vor einer aggressiven Minderheit.298
Don Ukmar schilderte in einem Brief an Bischof Nagl sein Gespräch mit
einem Tischler, der in der Priesterwohnung die Fenster reparierte. Als sie auf
den Kirchenstreit zu sprechen kamen, bemerkte der Tischler, dass das Dorf
in der Frage, ob es römisch-katholisch bleiben wolle oder nicht, sehr gespal-
ten sei: »Jetzt sind unter uns zwei Parteien, und ich weiß nicht, wie das am
Ende ausfällt.«299 Don Ukmar schienen die Dorfbewohner »in der Lage des
verlorenen Sohnes zu sein«. Er bemerkte diesbezüglich das zwiespältige Ver-
hältnis vieler Dorfbewohner gegenüber dem Glauben. An den Zeremonien
der institutionalisierten Religiosität nahmen sie weiterhin nicht teil; die Got-
tesdienste waren praktisch von niemandem besucht. Viele Männer seien aber
tagsüber für eine kurze Zeit in die Kirche geschlichen, um vor dem Altar kni-
end zu beten. Don Ukmar schrieb von einem »Katakombenleben«:300 Viele
Dorfbewohner trauten sich nicht, sich öffentlich zur katholischen Religion
zu bekennen, aber sie wollten und konnten der Religiosität nicht komplett
entsagen. Don Ukmar beschrieb die Kinder, die ihn auf der Straße mit geball-
ten Fäusten begrüßten: »Ich liebe sie sehr und spreche liebevoll mit ihnen,
dann werden sie milder und lächeln über mich«. Er meinte im Allgemei-
nen, dass die Dorfbewohner mit seinem ruhigen und konzilianten Stil nichts
anfangen könnten: »Die Terroristen wissen nicht, was sie mit mir eigentlich
machen sollen. Es ergeht ihnen ungefähr so wie der jetzigen französischen
Regierung, die der unerwarteten Ruhe und Entschlossenheit der Kirche rat-
295 Ebd.
296 Brief von Don Ukmar an Bischof Nagl (15. Dezember 1906), in: Ebd.
297 Brief von Don Ukmar an Bischof Nagl (25. November 1906), in: Ebd.
298 Eintrag am 21. Dezember 1906 im Annales, in: ŽAR.
299 Zitiert auf Deutsch im Brief von Don Ukmar an Bischof Nagl (6. Dezember 1906),
in: ADT, GP, 1906/82.
300 Ebd.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303