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158 Österreichisches Küstenland
im Sommer 1908 eine rasche Lösung für den Fall: »mehr als Hundert nicht
getaufte Kinder christlicher Eltern, Dutzende von Familien ohne gesetz-
lich eingegangene, somit ungültige Ehen, der Abgang jedweden kirchlichen
Unterrichten und religiösen Funktionen im Dorfe.«318 Der gesellschaftliche
Ausnahmezustand in Ricmanje, der sich etwa in der entschlossenen und
radikalen Ablehnung der kirchlichen Obrigkeit und in den aufgelockerten
Lebensumständen (hohe Zahl unehelicher Kinder, Zusammenleben ohne
Heirat usw.) manifestierte, stimmte die Dörfer in der Gegend um. Anschei-
nend ging die Radikalisierung in Ricmanje für die umliegenden, ebenso slo-
wenischsprachigen Dorfgemeinschaften zu weit. Die Bewohner in Ricmanje
bekamen die Isolation immer mehr zu spüren. Die Statthalterei in Triest
berichtete im Oktober 1908, dass
der jetzt 8 Jahre währende, ganz exzeptionelle Zustand bei der Bevölkerung Rizmanje’s
schliesslich das Bestreben erzeugt hat, in den Schoss der römisch-katholischen Kirche
zurückzukehren. Wie ich aus verlässlicher Quelle erfahre […], ist die Bevölkerung
Rizmanje’s darüber besorgt, dass der Ort infolge der Ungebundenheit der jeden sittli-
chen Einflusses entzogenen Jugend immer mehr gemieden wird; dass daher die öffent-
lichen Lokale sich keines Zuspruches mehr erfreuen; dass mit den als konfessionslos
zu betrachtenden Jünglingen und Mädchen des Ortes Niemand aus der Umgebung
mehr eine Ehe eingehen will, u. dgl. m.319
In der Sache der Liturgiesprache meldete Laginja im Februar 1909, dass
diese nach der mündlichen Absprache mit dem Triestiner Bistum »als erle-
digt zu betrachten ist«.320 Insofern blieb nur die Pfarreifrage zu lösen. Es
mussten eine Errichtungsurkunde ausgestellt und die Pfarrerwahl festgelegt
und ausgeschrieben werden. Die finanzielle Lage musste, etwa infolge der
seit mehreren Jahren nicht mehr entrichteten Zahlungen an die Pfarrei von
Dolina, ebenso abgeklärt werden.321 Am 29. April 1909 wurde die Pfarrei-
errichtungs- und Donationsurkunde angenommen. Infolgedessen endete
die Verpflichtung der Dorfbewohner in Ricmanje und Log, dem Pfarrer in
Dolina weitere Zahlungen leisten zu müssen. Das Patronat über die Kirche
übernahm Ricmanje, alle männlichen Pfarrinsassen durften somit an der
Pfarrerwahl teilnehmen.
318 Kopie des Briefes von Matija Laginja (28. Juli 1908), in: ADT, GP, 1908/54.
319 Brief des Triestiner Statthalters an das österreichische Kultusministerium (4.
Okto-
ber 1908), in: ÖStA, Allgemeines Verwaltungsarchiv (weiter: AVA), Unterricht und
Kultus: Katholischer Kultus (weiter: KK), 455: Pfarren im Küstenland: R (weiter:
455, R), 455.3 Signatur 42: Ri – Rizmanje (weiter: 455.3, 42: Ri).
320 Erklärung von Matija Laginja, beigefügt der Ricmanje-Akte (11. Februar 1909),
in: Ebd.
321 Brief des Triestiner Statthalters an das Bistum von Triest (9. November 1909), in:
ADT, GP, 1908/54.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303