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167Kirchenstreit
im ländlichen Hinterland
Homogenisierung der kirchlichen Praxen, Ritualen und Symbole bedeute.350
Diese Tendenz manifestierte sich meistens supra- und transnational, indem
die katholische Kirche über die nationalen Partikularismen hinweg eine
gewisse Homogenität etablierte. Mittels einer hierarchisierten Kirchenstruk-
tur und eines homogenisierten, transnational standardisierten Kirchenle-
bens (vom Vereinsleben bis hin zu den Riten) konnte sich die Kirche gleich-
zeitig den nationalistischen Hegemonieansprüchen entziehen.
Bischof Nagl vertrat die Idee, der katholischen Kirche ein einheitlicheres,
selbstbewussteres »Erscheinungsbild« zu verpassen. Dieses Ziel ermöglichte
die »Professionalisierung der Religion«: Abweichende, heterogene Prakti-
ken wurden nicht mehr zugelassen.351 Dies ging mit einer Symbolkontrolle
einher.352 Das Verbot muttersprachlicher Liturgien sowie anderer partikula-
ren Formen einer lokalen Frömmigkeitskultur diente also der Verstärkung
kirchlicher Kontrolle über die Inhalte, Formen und Modi der katholischen
Religionsausübung. Die katholische Kirche erhob mit der Vereinheitlichung
der Liturgiesprache – ob entlang der lateinischen oder der altslawischen
Sprache, ist hier nebensächlich353 – einen Deutungshoheitsanspruch bezüg-
lich der Symbole und ihrer Bedeutungen. Die Kirchenhierarchie wollte ihre
Deutungshoheit über den kirchlichen Raum wiederherstellen, indem sie alle
normabweichenden Partikularismen verbot. Die Deutungshoheit wollte die
Kirche
– im Sinne eines straffer strukturierten und hierarchisierten Kirchen-
lebens – weder den nationalistischen Agitatoren noch den lokalen Akteuren
überlassen. Bischof Nagl forderte daher mehr Disziplin vom Klerus und von
den Kirchgängern ein: Diese Forderung richtete sich aber nicht nur gegen
die nationalistischen Tendenzen, sondern auch jegliche Partikularitäten des
örtlichen Kirchenlebens.
Die Kirche entfremdete sich dadurch aber von der lokalen Ebene. Je un-
gleicher die religiös-institutionelle Repräsentation ist, desto mehr besteht
die Möglichkeit einer religiösen Entfremdung.354 Auch Ricmanje fühlte sich
immer weniger innerhalb der katholischen Kirche repräsentiert. Don Požar
350 Metzger, Religion, Geschichte, Nation, S. 21.
351 Ebd., S. 22.
352 Burkhard Gladigow, Symbole und Symbolkontrolle als Ergebnis einer Professio-
nalisierung von Religion, in: Rudolf Schlögl
u. a. (Hg.), Die Wirklichkeit der Sym-
bole. Grundlagen der Kommunikation in historischen und gegenwärtigen Gesell-
schaften, Konstanz 2004, S. 159–172, hier S. 163ff.
353 Wie im Unterkapitel 4.1.4 zu zeigen sein wird, konnte sich der klerikale Deutungs-
hoheitsanspruch nicht nur gegenüber, sondern auch in der generellen Einführung
der altslawischen Liturgiesprache manifestieren: Das kroatische Bistum Senj wollte
das lokale Kirchenleben gerade mittels der allgemeinen Verbreitung der altslawi-
schen Liturgiesprache vereinheitlichen und von normabweichenden Partikularitä-
ten »bereinigen«.
354 Luckmann, The Invisible Religion, S. 65.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303