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177Konflikte
im Bistum Senj
die Agitation der Geistlichkeit der Zengger [Senjer] Diöcese zu Gunsten der slawi-
schen Liturgie immer größere Dimensionen annehme, und obwohl vorderhand nicht
zu befürchten sei, daß dieselbe auch in breiteren Schichten der Bevölkerung eindringe,
dies doch nicht ausgeschlossen sei.18
Die altslawische Liturgiesprache drang jedoch nicht von unten in die Öffent-
lichkeit ein: Es war nicht die Forderung der Kirchgänger vor Ort. Das Bis-
tum Senj und der dortige kroatischsprachige Klerus engagierten sich für die
Einführung dieser Praxis. Sie werden wohl gedacht haben, dass die kroa-
tischsprachigen Katholiken darauf positiv reagieren würden – es fehlte der
nationale Gegner innerhalb der lokalen Kirchen, die die altslawische Litur-
giesprache aus nationalistischen Gründen abgelehnt hätten, wie es der Fall
etwa in den österreichischen Bistümern des Küstenlandes war. Dort führte
die altslawische Liturgiesprache
– infolge der ethnisch-nationalen Heteroge-
nität der dortigen katholischen Kirchengemeinden – zu innerkatholischen
Querelen und Streitigkeiten (Kapitel 3.1). Das Bistum Senj, dessen Kirchen-
gemeinden bis auf die Hafenstadt Fiume / Rijeka nur kroatischsprachig und
ländlich geprägt waren, schien ein idealer Raum für die altslawische Litur-
giesprache zu sein.
Ein diplomatisches Ereignis zwischen dem Hl. Stuhl und dem kürzlich
unabhängig gewordenen Montenegro ermöglichte den Druck neuer Messbü-
cher, die in den betreffenden Pfarreien seit Langem fehlten. Infolge des vati-
kanisch-montenegrinischen Konkordates (1886) wurde dem katholischen
Erzbistum Bar / Antivari in Montenegro erlaubt, altslawische Messbücher zu
verwenden.19 Zuerst war geplant, dass die Messbücher in kyrillischer Schrift
verfasst werden sollten, aber später rückte der Hl. Stuhl von dieser Idee ab,
welche besonders in Wien wegen ihrer panslawisch-prorussisch bedienbaren
Richtung auf vollkommene Ablehnung stieß – die Messbücher wurden mit
glagolitischen Buchstaben, das heißt einer längst »ausgestorbenen« Schrift,
angefertigt.20 Die katholische Bevölkerung des montenegrinischen Erzbis-
tums war aber mehrheitlich nicht slawischer (montenegrinischer), sondern
albanischer Abstammung. Auch die Priester waren italienisch- oder alba-
nischsprachig, insofern benötigten sie das Privileg der altslawischen Sprache
18 Szapáry an den K. K. Minister, Gustav von Kálnoky (10. Dezember 1891), in: ÖStA,
HHStA, Akten zur »Slawischen Liturgie«, PA XI 261, Liasse Rom V/6 (weiter: Slawi-
sche Liturgie, V/6), fol. 162 [Hervorhebung von mir].
19 Über das Konkordat mit Montenegro siehe u. a. Andreas Gottsmann, Papst
Leo XIII und die »jugoslawische« Versuchung. Montenegro, San Girolamo und die
südslawische Frage in der Diplomatie des Hl. Stuhls, in: Römische Historische Mit-
teilungen 49 (2007), S. 457–510, hier S. 458ff.
20 Ebd., S. 472ff.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303