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184 Ungarisch-Kroatisches Küstenland
bewohner versammelten sich drinnen, Don Modrčin konnte von draußen
nur dabei zusehen, wie sie die Kirche zusperrten. Ein Dorfbewohner nahm
den Kirchenschlüssel an sich. Don Modrčin versprach den Bewohnern ver-
zweifelt, die Messe »nach altem Gebrauch« (das heißt volkssprachlich-latei-
nisch) zu lesen, aber er bekam den Schlüssel nicht zurück, insofern blieb
das Dorf am Fest des Fronleichnams ohne Gottesdienst.45 Die katholische
Bevölkerung war überzeugt, dass die altslawische Liturgiesprache nur der
erste Schritt zum erzwungenen Übertritt in die orthodoxe Religion sei. Die
serbischsprachige, orthodoxe Bevölkerung machte sich deswegen sogar über
die kroatischsprachigen Katholiken lustig.
Gerüchte spielten in den bäuerlichen Aufständen und Krawallen vielerorts
in Kroatien eine wichtige Rolle; sie verliehen den Ereignissen eine gewisse
Eigendynamik.46 Ein solches Gerücht in der Gegend war, dass einige katho-
lische Priester – um heiraten und Bart tragen (!) zu können – mit ihren
Kirchengemeinden in die Orthodoxie übertreten würden. Einige Dorfbe-
wohner glaubten dabei zu wissen, dass der russische Zar höchstpersönlich
die lokalen katholischen Priester bestochen hätte, damit sie dem Volk den
orthodoxen Glauben aufzwangen.47 In den späteren Prozessen sagten die
angeklagten Frauen aus Kriviput vor dem Gerichtshof aus: Sie hätten in der
Tat Angst davor gehabt, dass der Pfarrer Don Modrčin heimlich das Bild
der Hl. Maria in der Kirche durch eine orthodoxe Ikone ersetzen würde.48
Kriviput war bekannt für seinen Kult um die Hl. Maria: Ihr Bild und ihre
Statue erfreuen sich bis heute einer großen Verehrung in der Region.49 Damit
erklärt sich, warum die Dorfbewohner in Kriviput die Kirche sofort zusperr-
ten, als sie von der Einführung der altslawischen Liturgiesprache erfuhren.
Sie dachten, dass eine drohende Orthodoxisierung nicht nur die Liturgie-
sprache, sondern auch die materielle Einrichtung der Kirche (samt Gemäl-
den, Statuen usw.) beträfe.
Don Modrčin besaß keinen anderen Schlüssel, daher konnte er die Kirche
nicht mehr betreten.50 Nachdem aber bewaffnete Gendarmen in Kriviput
angekommen waren, nahmen sie zwei Männer fest, die den Schlüssel bei sich
45 Bericht der Bezirksverwaltung (kotarska oblast) von Senj über die Mitteilung des
Pfarrers von Kriviput (25.
Mai 1894), in: HDA, ZV, Pr., kut.
487, 1962/1894, broj 2818.
46 Petrungaro, Pietre e fucili, S. 88.
47 Bericht der Gespanschaftsverwaltung (županski oblast) von Lika-Krbava (29. Mai
1894), in: HDA, ZV, Pr., kut. 487, 1962/1894, broj 6589 (solche Gerüchte kursierten
auch im österreichischen Ricmanje während des dortigen Kirchenstreites zwischen
1900 und 1910; siehe Kapitel 3.2).
48 Über den Prozess wurde berichtet u. a. in: Agramer Zeitung, 18. Mai 1895.
49 Vgl. Marija Kulišić / Ivana Vuković, Majka Božja Snježna u pučkoj pobožnosti na
področju Krivoga Puta [Die Verehrung der Schnee Gottesmutter in der Volksfröm-
migkeit auf dem Gebiet von Krivi Put], in: Senjski Zbornik 31 (2004), S. 239–260.
50 Bericht der Bezirksverwaltung (kotarska oblast) von Senj über die Mitteilung des
Pfarrers von Kriviput (25.
Mai 1894), in: HDA, ZV, Pr., kut.
487, 1962/1894, broj 2818.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303