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190 Ungarisch-Kroatisches Küstenland
Kartoffel- und Haferfelder von Don Kovačić an.80 Repräsentanten der lokalen
Macht wurden mit den Brandanschlägen attackiert. Der Protest war insofern
nicht national motiviert (serbische Opfer gab es keine), sondern richtete sich
gegen die lokalen Machthaber, die als Repräsentanten der sich einmischen-
den kirchlichen und staatlichen Obrigkeiten angesehen und als solche abge-
lehnt wurden. Der antihierarchische Charakter des dörflichen Widerstandes
zeigte sich darin, dass die Menschen am 20.
August auf den Straßen tanzten,
anstatt in die Kirche zu gehen.81
Die regierungsnahe Tageszeitung aus Zagreb, Narodne Novine, betonte
angesichts des Benehmens der Dorfbevölkerung, dass der »Mob« »vom
Schnaps angetrunken« auf den Straßen in Perušić randaliert habe.82 Alko-
holkonsum spielte eine wichtige Rolle in den anderen Bauernaufständen in
Kroatien und Slawonien: Es schaffte Gemeinschaftlichkeit unter den Betei-
ligten und lockerte die Hemmungen.83 Nur mit Alkoholkonsum lässt sich
aber die Rebellion in Perušič und den umliegenden Dörfern nicht erklä-
ren. Die Menschen pöbelten nicht ziellos herum, auch wenn sie ab und zu
nicht nüchtern waren. Sie wussten genau, wovor sie Angst haben und was sie
bekämpfen müssen. Auch wenn dieser Angst, der Angst vor der Orthodoxi-
sierung, irrationale Gerüchte und Falschmeldungen zugrunde lagen, handel-
ten die Menschen ihrem Erfahrungs- und Wissenshorizont nach »rational«
und verständlich.
Die Bewohner in Perušić lehnten die Gottesdienste von Don Kovačić voll-
kommen ab, weil er diese weiterhin altslawisch zelebrierte. Am ersten Sep-
tembersonntag erschienen nur ein älterer Mann und eine Frau in der Dorf-
kirche.84 Die Gottesdienste wurden auch später nur von wenigen Leuten
besucht.85 Alle anderen gingen nicht mehr in Perušić zur Messe, sondern in
einem anderen Dorf, Kaludjerovac, wo der Pfarrer Nikola Gršković – trotz
des bischöflichen Hirtenbriefes – weiterhin kroatischsprachige Gottes-
dienste zelebrierte. Seine trotzige Reaktion sprach sich rasch in der Gegend
herum: Nicht nur aus Perušić, sondern auch aus anderen Ortschaften, wo die
altslawische Liturgiesprache eingeführt worden war, wanderten viele Men-
schen jeden Sonntag in das winzige, an einem pittoresken See liegende Dorf
80 Bericht des Bezirksvorstehers in Perušič (22.
August 1894), in: HDA, ZV, Pr., kut.
487,
1657/1894, broj 44/pres., fol. 22ff.
81 Ebd.
82 Narodne Novine, 28. August 1908 [übersetzt aus dem Kroatischen von mir].
83 Zur Rolle des Schnaps (rakija) bei den kroatischen Bauernaufständen siehe u. a.
Petrungaro, Pietre e fucili, S. 76.
84 Bericht des Vorstehers (predstojnik) von Perušić (3. September 1894), in: HDA, ZV,
Pr., kut. 487, 1657/1894, broj 6114, fol. 43.
85 Am 9. September 1894 wohnten etwa 16 Menschen der Messe bei; vgl. Bericht des
Bevorsteher (predstojnik) von Perušić (10. September 1894), in: Ebd., broj 6348,
fol. 61.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303