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194 Ungarisch-Kroatisches Küstenland
angetrunken. Die »schon mit Schnaps übermäßig belustigten« Einwohner
brüllten in der Kirche herum, als das »Vaterunser« nicht kroatisch, sondern
altslawisch gebetet wurde.104
Die oft gewalttätigen Handlungen ähnelten sich zwar (Sperrung der Kir-
che, Wache vor der Kirche, Steinwürfe gegen die Priester, Lärm und Geschrei
in der Kirche oder vor dem Pfarrhaus usw.). Sie folgten aber keiner einheit-
lichen »Regie«. Die Dorfbewohner traten nicht gemeinsam gegen die kirch-
liche oder staatliche Obrigkeit auf, aber sie blieben auch keine isolierten
Einzelfälle. Einerseits verbanden die Ängste die Menschen untereinander:
Überall verbreiteten sich die gleichen Gerüchte, welche die Ängste vor dem
Verlust der katholischen Religion schürten. Andererseits kannten die Dorf-
bewohner die Ereignisse aus der gesamten Gegend, und sie reagierten darauf.
Sie wussten etwa, dass Don Srdoc, der im
Mai 1894 Kriviput besuchte, in sei-
nem Dorf die altslawische Liturgiesprache noch nicht eingeführt hatte. Oder
die Bewohner von Klanac: Als sie erfuhren, dass ihr Pfarrer im Nachbarort
Perušić die Messe mit dem dortigen Pfarrer Don Kovačić auf Altslawisch
lesen wollte, hinderten sie ihn daran, in Klanac die Kirche zu betreten. Auch
die Tatsache, dass die Messen in Kaludjerovac, einem Dorf, wo weiterhin
kroatischsprachige Messen gelesen wurden, von Kirchgängern aus mehreren
anderen Dörfern besucht wurden, zeigt ebenso, wie die Menschen in ihren
Ängsten und ihrem reaktiven Widerstand miteinander kommunizierten und
aufeinander reagierten. Die Vorfälle ereigneten sich dennoch lokal, punktuell
und spontan. Statt als organisierter Aufstand lassen sich die Ereignisse als
spontane Widerstandmomente beschreiben, in denen die Gewalt nicht im
Interesse jeglicher Änderungen, sondern des Beibehaltens der bestehenden
Ordnung angewendet wurde.
Diese Abwehr- und Widerstandsmomente ebbten aber in der Region rasch
ab, und die Bevölkerung gewöhnte sich an die »neue« Liturgiesprache. Dazu
trug auch die staatliche Macht von Kroatien bei:105 Sie sorgte einerseits mit
mehreren rasch eingesetzten Gendarmarie-Einheiten vor Ort für die Wie-
derherstellung der Ordnung. Andererseits wurden Dutzende Wortführer
festgenommen und vor Gericht gestellt. Aus Kriviput wurden 40 Menschen,
überwiegend Frauen, wegen öffentlicher Gewalttätigkeit, Ruhestörung,
Beleidigung einer gesetzlich anerkannten Kirche und Zusammenrottung
angeklagt.106 Die Urteile fielen mild aus: Einige Männer wurden für fünf
104 Ebd. [übersetzt aus dem Kroatischen von mir].
105 In der inneren Angelegenheit genoss Kroatien-Slawonien innerhalb der ungari-
schen Reichshälfte eine gewisse Autonomie, insofern war die Polizei der Landes-
regierung in Zagreb unterstellt; vgl. 2.1.2.
106 Es handelt sich um die offiziellen Bezeichnungen der betreffenden Tatbestände, wie
sie im ungarischen Strafgesetzbuch, dem sog. Csemeghy-Kódex (Gesetzesartikel
1878-V), benannt wurden.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303