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198 Ungarisch-Kroatisches Küstenland
onalistischen Vorwürfe (praktisch als Quellenbegriff) verstehen will116 –
verspätete Modernisierung. Diesem Gedanken wohnt die Dichotomie zwi-
schen »moderner Nation« und »rückständiger, noch zu modernisierender
Gemeinschaft« inne.117 Nach dieser Auffassung sei die nationale Indifferenz
das vormoderne Nichtverstehen eines modernen Diskurses: der nationa-
len Argumentation. Dieses Unverständnis ergebe sich demnach aus einer
negativ beeinträchtigten Kommunikation zwischen nationalen Agitatoren
und dem zu überzeugenden »Publikum«. Die Kommunikation sei in einem
modernistisch-nationalisierenden Diskurs zwischen den Diskursakteuren
und den Rezipienten – wie Peter Haslinger schreibt – negativ beeinträchtigt,
»wenn sich diskursive Barrieren parallel zu potenziellen gesellschaftlichen
Bruchlinien etablieren«.118 Im Kontext ländlicher Gegenden könnte eine
gesellschaftlich erklärbare Diskursbarriere zwischen der ländlichen Bevöl-
kerung und den nationalistischen Agitatoren (die meistens aus dem städti-
schen Milieu stammten) erkannt werden. Bedeutet es, dass die Menschen
die nationalistischen Diskurse nicht verstehen konnten? Oder hätten sie es
gekonnt – aber nicht gewollt? Ich gehe davon aus, dass die nationale Indif-
ferenz in diesem Falle ein Nicht-Verstehen-Wollen der nationalistischen Dis-
kurse, das heißt eine reaktive (aber bewusste) Ablehnung nationalistischer
Einmischungen und Erwartungen, bedeutet.
Die nationalistische Forderung, die Menschen ob ihrer »wahren« »Identi-
tät« zu belehren, würde die konstruktivistische These gut unterstützen, nach
der die nationalistischen Ideen immer Produkte elitärer Diskurse seien, die
oft kontrafaktuell durchgesetzt worden seien.119 Bezüglich des Endresultates
hat der Konstruktivismus aber keinen Unterschied zum Primordialismus,
nur die Geburt der Nation wird anders erzählt.120 Der konstruktivistische
Ansatz stellt den Zusammenhang zwischen Nation und Nationalismus nicht
infrage.121 Die Nation ist aber – wie Rogers Brubaker betont – nie Träger des
Nationalismus: Der Nationalismus wird als Idee nur von den nationalisti-
schen Agitatoren, einem kleineren Teil der Nation, getragen.122 Der Vorwurf
der nationalen Indifferenz gegenüber Menschen, die sich nicht nationalis-
tisch verorten, ergibt sich also aus der falschen Idee, Nation (als kulturell-
sprachliche Größe) und Nationalismus (als politische Idee, Ideologie) gleich-
116 Pieter Judson, Nationalism and Indifference, in: Feichtinger / Uhl (Hg.), Habs-
burg neu denken, S. 148–155, hier S. 151.
117 Kritisch darüber u. a. Zahra, Imagined Noncommunities, S. 98f.
118 Haslinger, Nation und Territorium, S. 29.
119 Siehe u. a. Gellner, Nations and Nationalism, S. 55f.
120 Ashutosh Varshney, Ethnicity and Ethnic Conflict, in: Carles Boix / Susan C.
Stokes (Hg.), The Oxford Handbook of Comparative Politics, Oxford 2009,
S. 274–294, hier S. 288.
121 Zahra, Kidnapped Souls, S. 6f.
122 Brubaker, Nationalism reframed, S. 19ff.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303