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201Konflikte
im Bistum Senj
werden.131 Dieser Vorwurf hatte in Kroatien und besonders in Lika-Krbava
eine stark nationalpolitische Konnotation. Die serbische Minderheit galt
als ungarnfreundlich und – aus einer national-kroatischen Perspektive –
»verräterisch«.132
Indem die national-klerikalen Blätter die Aufstände gegen die altslawi-
sche Liturgiesprache mit antiserbischem Hass zu erklären versuchten, konn-
ten sie die Ereignisse in den Kontext der »Nationalitätenkonflikte« zwischen
»Kroaten« und »Ungarn« sowie »Kroaten« und »Serben« rücken. Das natio-
nal-oppositionelle Agramer Tagblatt betonte deswegen in seinen Berichten
aus Perušić den »Antagonismus«, der zwischen den Katholiken und den
Orthodoxen in Lika-Krbava bestanden habe, und behauptete, dass sich die
katholische Bevölkerung zurückgedrängt fühle.133 Die nationalistische Dis-
kursstrategie zielte diesmal darauf ab, die lokalen Widerstände als Ausdruck
nationalistischen Bewusstseins darzustellen. Mit der Fokussierung auf das
interkonfessionelle Spannungsverhältnis zwischen katholischen und ortho-
doxen Bevölkerungsteilen ließ sich der Stellenwert der altslawischen Litur-
giesprache im Sinne eines national-kroatischen Narratives uminterpretieren,
als ob die kroatischsprachigen Katholiken nicht die altslawische Liturgie-
sprache, sondern die serbische Bevölkerung abgelehnt hätten.
Die Angst der lokalen Bevölkerung vor einer »Orthodoxisierung« lässt
sich allerdings nicht (nur) als Zeichen antiungarischer oder antiserbischer
Selbstverortung verstehen. Die »Gefahr« der »Orthodoxisierung« wurde
nicht den serbischsprachigen Bevölkerungsteilen zugeschrieben. Die jugos-
lawische Idee, das kroatische und das serbische Volk als Einheit zu denken,
oder die Einführung der altslawischen Liturgiesprache wurden nicht serbi-
scherseits propagiert und vorangetrieben – sondern seitens einiger Teile der
131 Hrvatska, 21. August 1894 [übersetzt aus dem Kroatischen von mir].
132 Besonders der ungarische Banus von Kroatien-Slawonien, Károly von Khuen-
Hédervary, der zwischen 1883 und 1903 in Zagreb an der Macht war, regierte mit-
hilfe der ungarnfreundlichen kroatischen (sog. »madjaronen«) und der serbischen
Abgeordneten des Zagreber Parlaments, wo der Anteil der serbischen Abgeordne-
ten – dank des restriktiven Wahlrechts – überrepräsentiert war. Daneben organi-
sierte sich aber auch eine serbische Opposition (Nationale Unabhängigkeitspartei,
Radikale Partei usw.), die sich vor allem auf das »Parlament« der serbischen Min-
derheit der ganzen ungarischen Reichshälfte (also auch aus Vojvodina), den sog.
National-Kirchlichen Kongress konzentrierte, der sich als Sprachrohr der serbi-
schen Nationalität und der serbisch-orthodoxen Religion in der Donaumonarchie
verstand. Bis zum sog. »Neuen Kurs« (1903), als serbische und kroatische natio-
nalliberale Kräfte eine kurzlebige antiösterreichische, proungarische Allianz in der
»Fiumaner Resolution« eingingen, wurde die serbische Öffentlichkeit durch Buda-
pest als Gegenpol zu kroatischen nationalen Forderungen benutzt; zum prounga-
rischen Verhalten serbischer Politik unter Khuen-Héderváry siehe u. a. Nicholas
J. Miller, Between Nation and State. Serbian Politics in Croatia before the First
World War, Pittsburgh 1997, S. 36ff.
133 Agramer Tagblatt, 29. August 1894.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303