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206 Ungarisch-Kroatisches Küstenland
tel 3.1): Die italienischsprachigen Katholiken in Istrien konnten eine Messe,
die nur für die kroatisch- und slowenischsprachigen Katholiken verständlich
war, nicht akzeptieren. In einem solchen Kontext konnten die kroatisch- und
slowenischsprachigen Katholiken ihre Forderungen nur proaktiv vortragen.
Auch in Istrien wollten die kroatisch- oder slowenischsprachigen Katholiken,
wie das Konfliktbeispiel aus Ricmanje zeigte (Kapitel 3.2), muttersprachli-
che (und nicht altslawische) Gottesdienste einführen. In Lika-Krbava hin-
gegen verstanden die kroatischsprachigen Katholiken ihre Messen. Diese
wurden in kroatischer Sprache zelebriert, die Kirchgänger brauchten kein
neues Privileg. Daher verteidigten sie ihre bestehende Situation reaktiv. Die
unterschiedliche Haltung gegenüber der altslawischen Liturgie erklärt sich
also nicht aus der ethnisch-sprachlichen Zusammensetzung einer Region,
sondern aus der Taktik, ob die kroatisch- oder slowenischsprachigen Katho-
liken die muttersprachlichen Gottesdienste proaktiv verlangen (mit Hinweis
auf die altslawische Liturgie »herausprovozieren«) oder reaktiv beschüt-
zen mussten.
Bogović versucht, die Akzeptanz oder die Ablehnung der altslawischen
Liturgiesprache unter kroatischsprachigen Katholiken des oberadriatischen
Raumes im Kontext des »Nationalitätenkonfliktes« zu erklären, als ob sich
die diesbezüglichen unterschiedlichen Positionen der kroatischsprachigen
Katholiken von der Perspektive eines »nationalen Anderen«, dem gegenüber
sie sich verortet hätten, erklären lassen. Diese Erklärung ist aber zweifach
problematisch. Einerseits forderten die kroatisch- (oder slowenisch-)sprachi-
gen Katholiken in Istrien nicht die Einführung altslawischer Liturgien, son-
dern jene der muttersprachlichen Gottesdienste. Was in Lika-Krbava schon
erreicht worden war (die kroatischsprachigen Gottesdienste), musste in Ist-
rien noch erkämpft werden. Dabei – und es ist meine zweite Gegenthese –
stellte nicht die andere Nationalität, sondern die (oft ebenso kroatisch- oder
slowenischsprachige) kirchliche Obrigkeit den Gegenpart dar. Sowohl in Ist-
rien als auch in Lika-Krbava war die kirchliche Obrigkeit, auch wenn ein
Bischof slowenischer oder kroatischer Abstammung war, gegen die verlangte
oder bereits praktizierte muttersprachliche Liturgie auf der lokalen Ebene.
In beiden ländlichen Teilen des Küstenlandes ging es um die muttersprach-
liche (und nicht die altslawische) Liturgie, die gegenüber der kirchlichen
Obrigkeit proaktiv erkämpft (Istrien) oder reaktiv beibehalten (Lika-Krbava)
werden musste.
Entsprechend der Richtung der Ansprüche – ob sie proaktiv oder reak-
tiv erhoben wurden –, konnten sie freilich im Kontext der »Nationalitäten-
frage« – entweder als Nationalismus (Istrien) oder als nationale Indifferenz
(Lika-Krbava) – (miss)verstanden werden (darüber siehe Kapitel 5.1.2). In
einer solchen Erklärung werden jedoch die Abhängigkeiten sowie die Inter-
essen der lokalen Akteure verkannt. Insofern ging es den lokalen Akteuren
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303