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209Kirchenstreit
in der Hafenstadt Fiume / Rijeka
»italienisch« dominierte Stadt standen seit langer Zeit im Konflikt mitein-
ander: Die altslawische Liturgiesprache oder die umstrittene kirchenrechtli-
che Zugehörigkeit der Hafenstadt waren Themen, die dieses Verhältnis stark
belasteten. Der lokale Fall in Drenova geriet in den städtischen Zeitungen in
ein Diskursfeld, in dem er als neues Unterkapitel dieser nationalpolitischen
Konfliktgeschichte wahrgenommen wurde.
Drenova war eine der drei Untergemeinden der ungarischen Hafenstadt.152
Fiume / Rijeka war – im Gegensatz zu Lika-Krbava (Kapitel 4.1) – unmit-
telbarer Teil von Ungarn, was sich in der Bezeichnung »corpus separatum«
ausdrückte.153 Was war damit ursprünglich gemeint? Maria Theresia inkor-
porierte die Stadt mit dem kaiserlichen Patent vom 23. April 1779 als »sepa-
ratum sacrae Regni Coronae Hungariae adnexum corpus« in das Königreich
Ungarn.154 Bis zum ungarisch-kroatischen Ausgleich von 1868 änderte sich
die staatsrechtliche Lage öfters
– auch infolge der napoleonischen Kriege und
der darauf folgenden restaurativen Neuordnung Europas. Der Ausgleich von
1868 konnte dafür nur eine provisorische Lösung finden,155 welche jedoch
Budapest die unmittelbare Herrschaft über die Stadt sowie der italienisch-
sprachigen Elite die lokale Deutungshoheit bis 1918 gewährte.156 Das »Gefühl
152 Die Hafenstadt Fiume / Rijeka hatte drei Untergemeinden: Drenova, Cosala / Kozala,
Plasse / Plase. Sie durften Abgeordnete ins Rathaus schicken und hatten vor Ort je
einen Dorfrichter.
153 Über die staatsrechtliche Lage der Stadt und ihre Interpretationsmöglichkeiten
siehe Dorottya Andrási, Fiume államjogi helyzetének rendezése és jelentősége a
XIX. század második felében a jogforrások tükrében [Die Regelung und Bedeutung
der staatsrechtlichen Lage von Fiume / Rijeka in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhun-
derts im Lichte der Rechtsquellen], in: Jogtörténeti Szemle 7 (2005), S. 17–22.
154 Capuzzo, L’ autonomia della città di Fiume, S. 13ff.
155 Heka, A magyar-horvát államközösség, S. 166.
156 Während Kroatien-Slawonien innerhalb von Ungarn (besser gesagt: innerhalb den
»Ländern der Ungarischen Heiligen Krone«) weitgehende Autonomie zugesichert
war – weshalb die Kroaten den Status einer eigenen politischen Nation hatten –,
blieb Fiume / Rijeka unmittelbarer Teil von Ungarn. Nach der kroatischen Histori-
ographie hätte aber Budapest die Regelung bezüglich der staatsrechtlichen Zugehö-
rigkeit von Fiume / Rijeka im Text des ungarisch-kroatischen Ausgleichs gefälscht.
Die ungarischen Regierungskreise hätten mit Tricks erreichen können, dass König
Franz Joseph I. letztendlich nicht den vom kroatischen Parlament (Sabor), sondern
den vom ungarischen (Országgyűlés) verabschiedeten Text sanktionierte. Der so in
Kraft getretene Text sei aber bezüglich der staatsrechtlichen Lage von Fiume / Rijeka
wesentlich vom ursprünglichen Text abgewichen, welchen die ungarischen und
kroatischen Partner zuvor ausgehandelt hätten. Um diese juristische »Fälschung«
zu vertuschen, wurde auf den kroatischen (und demnach gültigen) Text die sank-
tionierte (d.h. in Kraft getretene) Version des Paragraphen 66 (über Fiume / Rijeka)
einfach aufgeklebt. Die ungarische Interpretation der staatsrechtlichen Lage von
Fiume / Rijeka wäre somit dem ursprünglichen Text des ungarisch-kroatischen
Ausgleichs wortwörtlich aufgedrückt worden. (Über diese kroatische Interpreta-
tion des Textes siehe u. a. Maja Polić, »Riječka krpica« 1868. godine i uvjeti za nje-
zino naljepljivanje na Hrvatsko-ugarsku nagodbu [Das »Fiumaner Blättchen« vom
Jahre 1868 und die Bedingungen für ihr Aufkleben auf den kroatisch-ungarischen
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303