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230 Ungarisch-Kroatisches Küstenland
passiert so was, was nirgendwo in der Welt [passiert]: Menschen werden
von kroatischen Müttern geboren, ihre Muttersprache ist Kroatisch, aber sie
würden lieber irgendwelche Italiener, irgendwelche Ungar sein.«259 Die kro-
atische Presse bezichtigte auch Don Zigar des Identitätswandels. Das kroa-
tischsprachige Blatt Riječki Novi List bemerkte etwa, dass Don Zigar seine
Stelle in Drenova 1906 noch als »großer Kroate, Frankianer«260 angetreten
habe. In der Behauptung, dass er sich dann in Drenova zu einem »großen
Italiener und Autonomisten« entwickelt habe,261 schimmerte der Versuch
durch, ihn unbedingt einem narrativ erzeugten Lager (»Kroatentum«, »Ita-
lienertum«) zurechnen zu wollen. In den Quellen ist übrigens nicht eindeu-
tig festzustellen, was für eine nationale »Identität« Zigar überhaupt hatte. In
den Berichten wurde er mal als »pan-italienischer Agitator«262 – als ob er
nur italienisch-nationalen Interessen dienen würde –, mal als »[kroatischer]
Renegat«263 – als ob er »entgegen« seiner kroatischen Abstammung handeln
würde
– beschrieben. Bekannt ist, dass er in Fiume / Rijeka geboren war, und
dass er – bevor er zum Administrator in Drenova ernannt wurde – unter
anderem als Kaplan in Ogulin, einer rein kroatischen Kirchengemeinde,
gedient hatte. Auch nach seiner Absetzung in Drenova war er in anderen
homogen kroatischsprachigen Kirchengemeinden (Ledenice, Starigrad,
Brinje) tätig.264 Sein Lebensweg lässt eher vermuten, dass ihm eine »italieni-
sche« Abstammung oder Sympathie – mal negativ, mal positiv konnotiert –
nur deswegen unterstellt worden waren, weil er nicht dem nationalistisch
vorgestellten Idealtyp eines »kroatischen Priesters« entsprach.
Mit solchen Vorwürfen war auch der kroatischsprachige Stadtpfarrer
Don Kukanić konfrontiert – in seinem Falle italienischerseits. Das autono-
mistische La Voce del Popolo bemerkte bissig, dass Don Kukanić die »italie-
nischen« Hoffnungen bei seiner Wahl 1897 zwar geweckt, aber später nicht
erfüllt habe. Das Blatt glaubte, das daran festmachen zu können, dass Don
Kukanić seinen Namen später nach kroatischer Schreibweise anzuführen
angefangen habe: »Nachdem er zum Pfarrer gewählt worden war, wandelte
sich der »Cucanich« bald und zum Erstaunen aller in »Kukanich«, um vor
259 Ebd., 20. August 1908 [übersetzt aus dem Kroatischen von mir].
260 Frankianer (»frankovci«) waren die Anhänger der von Josip Frank gegründeten,
klerikal-nationalen, proösterreichischen, antiungarischen Reinen Partei des Rech-
tes; über die Partei siehe u. a. Stjepan Matković, Čista stranka prava 1895.–1903.
[Reine Partei des Rechtes 1895–1903], Zagreb 2001.
261 Riječki Novi List, 11. August 1908 [übersetzt aus dem Kroatischen von mir].
262 Etwa in der ungarischen Tageszeitung in Fiume / Rijeka, A Tengerpart; siehe
A Tenger part, 18. August 1908 [übersetzt aus dem Ungarischen von mir].
263 Etwa im Leserbrief, wo Zigar als Renegat bezeichnet wird, siehe Riječki Novi List,
29. August 1908.
264 Zur Biographie siehe »Pavel Zigar«, in: BAS, R22: Album.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303