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234 Ungarisch-Kroatisches Küstenland
Diese Einstellung nationalisierte das Kirchenleben und die kirchlichen
Angelegenheiten »von oben her«. Ungarisch-magyarische Priester, die aus
Ungarn nach Fiume / Rijeka gingen, empfanden ihre Aufgabe dementspre-
chend als eine staatspolitische Mission, in der die Kirche als ein Mittel und
Raum für die Propagierung der ungarischen Staatsidee und der kulturellen
Magyarisierung zu fungieren hatte. Als Gyula Csóbor 1881 als ungarischer
Kaplan und Religionslehrer von Budapest nach Fiume / Rijeka geschickt
wurde, bekannte er sich zum ungarischen Nationalismus, und er verstand
seine kirchliche Aufgabe vor allem als Dienst im Interesse der ungarischen
Nation:
In politischer Hinsicht wird immer die ungarische Staatsidee maßgebend für mich
sein. […] Ja, ich verstehe in politischer Hinsicht vollkommen meinen erhobenen Beruf,
der zuvorderst darin besteht, dass ich die Interessen der ungarischen Nation unter
feindlichen Elementen [das heißt in einem kroatischen Bistum – P. T.], trotz meiner
geringen Kraft, vorantreibe.280
In Csóbors Worten schimmerte die ungarische Einstellung durch, Fiume /
Rijeka für den aufzubauenden ungarischen Nationalstaat mit kirchlicher
Hilfe zu »kolonisieren«. Für die Analyse der lokalen Machtkonstellation
zwischen den »Italienern« und den »Kroaten« in Fiume / Rijeka sowie der
Einstellung von Budapest gegenüber »seiner« Hafenstadt bietet sich die
postkoloniale Lesart ansatzweise gut an.281 Budapest betrachtete die Stadt
als Prestigeprojekt im Interesse des ungarischen Nationalstaates.282 Das
imperiale Zentrum Budapest hatte infolgedessen nicht nur Präferenzen im
lokalen »Nationalitätenkonflikt« wie etwa Wien, sondern es verfolgte in »sei-
ner« Hafenstadt – nach einer kolonialen Logik – eine eindeutig ungarisch-
nationale, auf eine imperiale Beherrschung und nationale Homogenisierung
abzielende Linie, welcher sich die örtliche Kirche unterwerfen sollte.
Im Kielwasser der Drenova-Affäre intensivierten die ungarische Regie-
rung und die italienischsprachige Elite der Hafenstadt wiederum ihre Akti-
vitäten im Interesse der Lostrennung der Hafenstadt vom Bistum Senj. Die
konkrete Frage der Drenova-Affäre, ob der frühere Priester, Don Zigar, in die
Untergemeinde zurückkehren darf, aktivierte längst bestehende nationalpo-
litische Diskurse und Ansprüche. Wem gehört der kirchliche Raum? Welche
Sprache soll in der Liturgie dominieren? Wie hat sich ein »kroatischer« oder
280 Csóbors Brief an das Kultus- und Unterrichtsministerium in Budapest (13. Juli
1883), in: DAR, Gubernij, Op.Sp., kut. 69, 1881/1138 [übersetzt aus dem Ungari-
schen und Hervorhebung von mir].
281 Zur allgemeinen postkolonialen Herangehensweise in der habsburgischen Histori-
ographie siehe u. a. Feichtinger, Habsburg (post-)colonial, S. 13.
282 Zucconi, Una città cosmopolita, S. 90.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303