Seite - 254 - in Umkämpfte Kirche - Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
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254 Konfliktdynamiken
katholischen Kirchenlebens. In den mikrohistorischen Perspektiven zeigten
sich aber dann die Unterschiede, die zwar eine allgemeine Erklärung für all
diese Fälle von Drenova bis zu Visinada / Vižinada, von der Gespanschaft
Lika-Krbava bis zur Insel Lussin / Lošinj schwierig macht. So kommt aber die
lokale Komplexität zum Vorschein.
Andererseits erklären sich viele Unterschiede in den Handlungen und
besonders bezüglich der Erfolgschancen aufgrund der staatsrechtlichen
Lage, das heißt der unterschiedlichen Rahmenbedingungen für die Hand-
lungen und Beobachtungen. Die Gewaltmomente waren auf der österreichi-
schen Seite (also in Istrien und Ricmanje) proaktiv und staatsindifferent. Die
lokalen Konfliktakteure handelten proaktiv, indem sie Forderungen stellten.
Dabei gerieten sie aber nicht mit dem Staat, sondern nur mit der kirchlichen
Obrigkeit
– meistens mit den örtlichen Priestern
– in Konflikt. Im Gegensatz
dazu waren die Gewaltmomente auf der ungarisch-kroatischen Seite (also
in Lika-Krbava und Drenova) reaktiv und antistaatlich. Die lokalen Kon-
fliktakteure handelten reaktiv, indem sie auf externe Einmischungen – etwa
die bischöflichen Entscheidungen, altslawische Liturgiesprache einzuführen
oder einen Priester aus dem Dorf zu entfernen
– reagierten. Ihr Ziel war nicht
die Veränderung der bestehenden Lage wie etwa im österreichischen Ric-
manje, sondern ihre Beibehaltung. Gleichzeitig handelten sie
– im Gegensatz
zu den Konfliktakteuren auf der österreichischen Seite
– nicht nur gegen die
Amtskirche, sondern auch gegen die – in ihrem Falle: ungarische oder kroa-
tische – Staatsmacht.
Die Frage der Pro- oder Reaktivität wie auch die Einstellung gegenüber
der staatlichen Macht hingen mit dem unterschiedlichen Staats- und Nati-
onskonzept in den zwei Reichshälften zusammen: In Ungarn-Kroatien
bewegten sich die staatliche Macht und die kirchlichen Obrigkeiten in einem
bewusst »nationalen« Kontext; in Österreich hingegen waren die staatliche
Macht wie auch die kirchlichen Obrigkeiten bemüht, national interpretier-
bare Konflikte abzumildern. Die Erfolgschancen der Gewaltakte waren
dadurch wesentlich vorbestimmt. Wie etwa der Konflikt in Ricmanje zeigte,
wo die Forderungen (wenn auch zum Beispiel im Falle der Liturgiesprache
nur stillschweigend) am Ende akzeptiert wurden, war es anscheinend einfa-
cher, auf der österreichischen Seite (und in der österreichischen katholischen
Kirche) Forderungen nach mehr lokaler Selbstbestimmung durchzusetzen
als auf der ungarisch-kroatischen Seite. Ricmanje war letztendlich eine
lokale Erfolgsgeschichte, während sich die Bevölkerung in Drenova in einem
in vieler Hinsicht ähnlichen Streit nicht durch setzen konnte.
Was verbindet aber die zwei Teile des Küstenlandes? Dafür muss die lokale
Ebene – und nicht die Makrostrukturen – wieder in den Blick genommen
werden. In beiden Hälften des oberadriatischen Raumes ging es um Konflikte
zwischen den homogenisierenden Ansprüchen des kirchlichen oder (natio-
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303