Seite - 10 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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gelten kann. Rothschild steht jedoch mit solchen Werturteilen nicht allein da.
Der 1939 in die USA emigrierte Exil-Schriftsteller und Übersetzer Herbert Kuh-
ner, der 2014 den renommierten Theodor-Kramer-Preis erhielt, schrieb, dass
„Dr.
Wolfram Laus […] eine Karriere daraus gemacht hat, ein Manipulator von
kulturellen Belangen und ein professioneller Moralist“5 zu sein. Kuhners har-
sches Urteil (vgl. dazu ausführlicher Kapitel 4.4) ist erstaunlich, befasst man sich
näher mit Kraus’ Rolle bei der Einladung und Reintegration von Emigrantinnen
und Emigranten in den österreichischen Literaturbetrieb (vgl. Kapitel 3.5).
An Peter Handke, zu dem Kraus im Laufe der 1970er Jahren zunehmend ein
Naheverhältnis entwickelte – er besuchte ihn immer wieder in Salzburg sowie
in Clamart (Frankreich)6 und fördert ihn mittels Preisvergaben –, schreibt er am
Endpunkt seiner Karriere Anfang der 1990er Jahre: „Macht interessiert mich
nicht, sonst wäre mein Leben anders verlaufen. Aber ich will die Freiheit und
die Mittel haben, konkret helfen zu können. Mitunter konnte ich durch Rat oder
die eine oder andere Idee für die Verbreitung von Geistigem ein wenig bewir-
ken, einige Male mußte ich sozusagen Hand anlegen, wie in meiner Zeit im
Außenamt und in der Literaturgesellschaft.“7
Es sind also stets konkrete, jedoch in einem kulturpolitischen Rahmen ste-
hende Ziele, die Kraus verfolgte, um (nicht nur) die österreichische Literatur zu
fördern. So schlägt die literaturgeschichtliche Waage auch in die andere Rich-
tung zugunsten von Kraus aus. Dass dieser etwa in den frühen 1960er Jahren
bezüglich des literarischen Lebens „das Fenster öffnete [...], steht außer Zweifel“,
hält der Germanist Wendelin Schmidt-Dengler anlässlich eines Wolf-
turpolitik in der Sowjetunion (1953–1991). Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2002, S. 13. Vladislav
Zubok hat zur Kulturpolitik unter Stalin angemerkt: „Eventually, Stalin sought to gain total
control over the substance and direction of cultural and intellectual production. The regime
categorized all people of culture involved in education and science as Soviet intelligentsia. It
became one of Stalin’s pet projects, no less than the secret police and the army, to marshal the
intellectual and cultural resources to glorify his regime, prepare for war, and call upon the
population for sacrifices.“ Vladislav Zubok: Zhivago’s Children. The Last Russian Intelligent-
sia. Cambridge/Mass.: The Belknap Press of Harvard University Press 2009, S. 4. Angesichts
dessen erscheint Rothschilds Diktum trotz polemischer Untertöne diktaturverharmlosend und
dadurch mehr als fehl am Platz.
5 Herbert Kuhner: Der Ausschluss. Memoiren eines Neununddreissigers. Wien: Edition 39 1988,
S. 34.
6 Vgl. Wolfgang Kraus: Tagebuch, 21. Juni 1978, Literaturarchiv der Österreichischen National-
bibliothek, Wien, ÖLA 63/97, Nachlass Wolfgang Kraus, ohne Signatur [im Folgenden als NL
WK zitiert]; Kraus spricht mit Handke auch über die Praxis des Tagebuch-Schreibens, denn
Handke hatte mit Das Gewicht der Welt (1977) ebenfalls ein Journal veröffentlicht. Handke
verabschiedet sich bei Kraus mit den Worten: „‚Ihnen kann nichts passieren, sie haben Ihr
Tagebuch‘.“
7 Wolfgang Kraus an Peter Handke, 8. Februar 1991, NL WK.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
10 Einleitung
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437