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gang-Kraus-Symposiums im Jänner 1999 in Budapest fest, damit auf Hans Wei-
gels heftig umstrittenen, 1946 in Otto Basils Literaturzeitschrift „PLAN“ erschie-
nenen Essay „Das verhängte Fenster“ anspielend, in dem dieser vor der
literarischen „Provinzialisierung“ Österreichs gewarnt und eine kulturelle Öff-
nung hin zu Deutschland gefordert hatte. Kraus’ „gute Tat“ sei dann, wie
Schmidt-Dengler konstatiert, in literaturgeschichtlicher Perspektive „nicht so
belohnt“ worden, wie es „zu erwarten gewesen wäre“.8
Paul Kruntorad entwickelt in seinem Aufsatz über die „Charakteristika der
Literaturentwicklung in Österreich 1945–1967“ ein differenzierteres Bild von
Kraus und der Tätigkeit der ÖGL und ist der Ansicht, dass sich diese Institution
„als Vermittler in jenem beginnenden ‚Gespräch der Feinde‘, das [Friedrich]
Heer einst in seinem Essay gefordert hatte“, etabliert habe, setzt jedoch ironisch
hinzu, dass der Dialog zwischen Ost und West sich in der „entspannend ange-
nehmen Ideologiefreiheit der Literatur“ entfaltet habe, wenn auch „die Grün-
dung der Gesellschaft ein eindeutig politisch motivierter Akt“9 gewesen sei. Die
mit Kraus befreundete Schriftstellerin Hilde Spiel merkte an, dass die vielen
Veranstaltungen und Aktionen der Literaturgesellschaft stimulierend auf das
literarische Feld gewirkt hätten, jedoch die Lage der ÖGL „jenem kleinen hol-
ländischen Jungen“ entsprochen habe, der „mit seinem Finger die Öffnung im
Deich verstopft. Kein geringes Verdienst allerdings, die Fluten der Unbildung
und des seichten Geschmacks solchermaßen zu dämmen“.10
Angesichts dieser Urteile ist Wolfgang Kraus für die Literaturwissenschaft und
vor allem für die österreichische Germanistik nicht nur wegen seiner zentralen
Rolle im literarischen Feld nach 1945 von Interesse, die bisher kaum Beachtung
in der Forschung gefunden hat, sondern seine Tätigkeiten erweisen sich auch
für ein differenziertes Verständnis hinsichtlich der Überschneidungen und
Zusammenhänge von österreichischer Literatur und Kulturpolitik in der Zwei-
ten Republik aus der Perspektive des literaturbetrieblichen Funktionärs als wesent-
lich. Obwohl die Rolle, welche Kraus im österreichischen Literaturbetrieb seit
den frühen 1960er Jahren bis Mitte der 1990er Jahre einnahm, immer wieder in
verschiedenen Literaturgeschichten betont wird, fehlt eine adäquate Beschrei-
8 Wendelin Schmidt-Dengler: Wolfgang Kraus. In: Péter Bassola, Endre Kiss (Hg.): Literatur als
Brücke zwischen Ost und West. Zum Gedenken an Wolfgang Kraus. Szeged: Grimm Verl. 2000,
S. 17–26. hier S. 22.
9 Paul Kruntorad: Charakteristika der Literaturentwicklung in Österreich 1945-1967. In: Ludwig
Fischer (Hg.): Literatur in der Bundesrepublik Deutschland. Hanser Sozialgeschichte der deut-
schen Literatur. Bd. 10. München: Hanser 1986, S. 628- 650, hier S. 644.
10 Hilde Spiel: Die österreichische Literatur nach 1945. Eine Einführung. In: Dies. (Hg.): Die zeit-
genössische Literatur Österreichs. Zürich, München: Kindler 1976 (= Kindlers Literaturge-
schichte der Gegenwart), S. 13-127, hier S. 100.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Forschungsstand, Quellen und theoretische Ansätze 11
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437