Seite - 15 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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1996 in handschriftlicher Form verfassten diaristischen Aufzeichnungen, die
dem Autor dankenswerterweise in transkribierter Form21 zur Verfügung stan-
den und durch deren Aufarbeitung sich einige sonst kaum nachvollziehbare
Zusammenhänge erschlossen. Das Tagebuch bietet darüber hinaus faszinieren-
de Einblicke in die Persönlichkeit sowie den „Habitus“ des Dargestellten, denn
Notiz- bzw. Tagebücher gehören zur Grundausstattung von schreibenden und
registrierenden Persönlichkeiten, sie sind handliche Wegbegleiter und Aufbe-
wahrungsorte für Entwürfe, gleichsam Ideen- und Datenspeicher. Kraus begann
bereits im Mai 1943 mit Aufzeichnungen, allerdings in aphoristischen, manch-
mal auch in kulturkritischen Expositionen. Von den Eintragungen, wie er sie
später pflegen wird, sind diese weit entfernt. Kraus selbst wird darüber in einer
sehr frühen, beinahe leitmotivischen, Eintragung festhalten: „Wenn ich mich an
meine früheren Aufzeichnungen erinnere: krampfhafte Abstraktion. Und Abs-
traktion ist eine Art Hochmut gegenüber dem Realen und Menschlichen, wenn
man sie in diesem Zusammenhang betrachtet. Ich bemühe mich, näher am Rea-
len, am Einfachen zu bleiben, dafür es deutlicher zu sehen.“22
Auffällig ist das völlige Fehlen von Aufzeichnungen für die sehr bewegte Zeit
der 1960er Jahre, in die etwa die Gründung der ÖGL und seine ersten Bekannt-
schaften mit für ihn später so wichtigen Persönlichkeiten wie z. B. Manès Sper-
ber und Elias Canetti fallen. Für diese Jahre existieren leider nur kurze kalenda-
rische Aufzeichnungen, die jedoch ebenfalls Rückschlüsse auf seine Aktivitäten
zulassen.
Die Tagebücher, die er ab Mitte September 1970, im Alter von 46 Jahren,
gewissenhaft zu führen begann, begleiteten Kraus fortan beinahe täglich als ein
Mittel der Selbstanalyse, der Selbstvergewisserung und nicht selten der Selbst-
kritik in Bezug auf sein organisatorisches und auch essayistisches Schaffen.
Ergänzend zum Nachlass von Wolfgang Kraus wurde gezielt in Nachlässen ande-
rer Provenienz nach relevanten Materialien recherchiert, z. B. seiner Mitarbeiter
in der ÖGL, wie Kurt Benesch und Herbert Zand, die ebenfalls im Literaturar-
chiv aufbewahrt werden. Zusätzlich wurden auch Nachlässe von anderen zent-
ralen Persönlichkeiten des Literaturbetriebs wie Rudolf Henz (Dokumentations-
stelle für österreichische Literatur), Hans Weigel oder Friedrich Torberg (beide
Wienbibliothek im Rathaus) berücksichtigt, die in einem mehr oder weniger
engen Verhältnis zur ÖGL standen.
21 Der Autor möchte sich an dieser Stelle bei Ass.-Prof. Mag.
Dr.
Thomas Angerer und Frau Minis-
terialrätin a.
D. Mag.
Gertrude Kothanek bedanken, die den Abdruck von Zitaten aus Wolfgang
Kraus’ Tagebüchern gestattet haben und dem Verfasser darüber hinaus mit zahlreichen nütz-
lichen Hinweisen hilfreich zur Seite gestanden sind.
22 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 22. September 1970 Frankfurt [am Main], NL WK.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Forschungsstand, Quellen und theoretische Ansätze 15
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437