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buch“ konstatiert hat), eine „Staatsliteratur“ zu propagieren versuchte. Vor allem
anhand der Einladungspolitik der ÖGL selbst, die neben zeitgenössischen öster-
reichischen Autorinnen und Autoren auch jene aus den damaligen Staaten des
realen Sozialismus mit in ihr Programm einband, lässt sich untersuchen, wel-
ches „Österreich“-Bild hier evoziert wurde, ohne den vielzitierten „habsburgi-
schen Mythos“ von Claudio Magris strapazieren zu müssen.34
Ein weiterer Schwerpunkt der Studie liegt in der Beschreibung von Kraus’ lite-
rarischen und kulturpolitischen Verflechtungen (vgl. Kapitel 5 und 6). Die Stu-
die widmet ihre Aufmerksamkeit Kraus’ Kontakten, sowohl zu nationalen, als
auch zu internationalen literarischen bzw. kulturpolitischen Institutionen. Dazu
zählen u. a. der österreichische P.E.N.-Club, das Forum Stadtpark, der Mol-
den-Verlag, der Stiasny-Verlag, aber auch Zeitschriften wie z. B. „Wort in der
Zeit“ und deren Nachfolger „Literatur und Kritik“, sowie internationale Orga-
nisationen wie der Kongress für kulturelle Freiheit, eine der einflussreichsten
kulturpolitischen Organisationen im kulturellen Kalten Krieg.
Des Weiteren kommen in diesem Kontext auch Auseinandersetzungen im
literarischen Feld zur Sprache (vgl. Kapitel 4.4), denn diese enthüllen, wie Bodo
Plachta ausführt, „persönliche Gegnerschaften“ und zeigen die Versuche, „neue
gegen alte Auffassungen durchzusetzen oder verfolgen die Absicht, das literari-
sche Territorium zu erobern, zu verteidigen oder zu vergrößern“.35
Die vorliegende Studie möchte sich dem Objekt der Untersuchung nicht aus
einer genuin biographischen Perspektive annähern, sondern Bourdieus kritische
Auseinandersetzung mit der Gattung „Biographie“ in Evidenz halten. In seinem
Essay „Die biographische Illusion“, stellt Bourdieu zur Diskussion, ob man nur
einer rhetorischen Illusion huldigt, einer „gemeinsamen Vorstellung von der
Existenz, die von einer ganzen literarischen Tradition unablässig verstärkt wur-
de und wird, wenn man eine Lebensgeschichte produziert und das Leben als
eine Geschichte behandelt, das heißt als kohärente Erzählung einer signifikan-
ten und auf etwas zulaufenden Folge von Ereignissen.“36 Somit soll also nicht
eine „objektive Biographie“, – die es in diesem Sinn gar nicht geben kann, wie
die britische Biographin Hermione Lee in Bezug auf Virginia Woolf konstatiert
hat37 – vorgelegt werden, da die Positionen zum Gegenstand, wie auch an den
34 Vgl. Claudio Magris: Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur. Salzburg:
Otto Müller 1966.
35 Plachta: Literaturbetrieb, S. 43.
36 Pierre Bourdieu: Die biographische Illusion [1986]. In: Theorie der Biographie: Grundlagen-
texte und Kommentar. Hg. v. Bernhard Fetz und Wilhelm Hemecker. Berlin, Boston: de Gruy-
ter 2011 (= De Gruyter Studium), S. 303–310, hier S. 305.
37 Vgl. Hermione Lee: Virginia Woolf. Ein Leben. Frankfurt/M.: Fischer 2006, S. 17.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Forschungsstand, Quellen und theoretische Ansätze 19
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437