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Mit der Gründung der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 1961, die
durch das Unterrichtsministerium unter Heinrich Drimmel, insbesondere aber
durch dessen Sektionsräte Alfred Weikert und Hans Brunmayr unterstützt wur-
de, erhielt Kraus, der im literarischen Leben von Wien „längst als Verlagsmann,
als Publizist[], aber nicht als Kolumbus“82 bekannt war, eine zentrale Position
im literarischen Feld. Denn das Programm der Gesellschaft, das regelmäßige
Autorenlesungen, Buchpräsentationen sowie kulturpolitische Diskussionen
umfasste, war die erste permanente literaturvermittelnde Instanz und ein für
Wien originäres Konzept. Drimmel fungierte ab 1954, zunächst ohne parteipo-
litische Bindung, später dann als ÖVP-Mitglied, als Unterrichtminister und pro-
filierte sich als „intellektuelles Aushängeschild“ der Partei, da er als „glänzender
Redner und Formulierer“ galt, der ein konservatives, vom Katholizismus gepräg-
tes Weltbild pflegte, jedoch „dem sozialen Wandel und der Modernisierung der
Gesellschaft“83 offen gegenüberstand. Für Ernst Hanisch gilt Drimmel als Sym-
bol jenes konservativen Paradigmas der „langen 1950er Jahre“, welches sich mit
dem Ende von Drimmels Amtszeit 1964 aufzulösen begann.84 Kraus ging retros-
pektiv mit Drimmels Autobiografie Alle meine Häuser (1975) streng zu Gericht
und, obwohl er ihm doch einiges zu verdanken hatte, vermerkt: „erschrecken,
welchen Unterrichtsminister man 12 Jahre lang hatte. […] [I]n den Assoziatio-
nen merkt man Wissensprotzerei (lateinische Zitate), humanistischen Lack, aber
gleichzeitig den Mangel an wirklicher Bildung und geistigem Interesse – dafür
gibt es ein Kapitel über den Fußball. Sehr deprimierend. Dieser Mann hat über
kulturelle Entwicklungen ein maßgebendes Wort geredet.“85
Insbesondere aufgrund des damaligen singulären Status der ÖGL konnte sie sich
rasch durchsetzen und das Interesse der Öffentlichkeit wachhalten. Ebenso
bemühte sich die Gesellschaft um die zeitgenössische österreichische Literatur,
mittels eines „Forums der Jugend“, wo u. a. auch Peter Handke erstmals auftrat,
auch der jüngeren Generation einen „lebendigen Kontakt mit der Gegenwarts-
literatur“86 zu vermitteln. Die Schriftstellerin Anna Mitgutsch spricht in Bezug
auf Kraus’ Förderungstätigkeit von einem „gelebten Humanismus“ und erinnert
sich, dass er denjenigen, die er förderte, nicht das Gefühl gab, dass sie „ihm zu
82 Hans Weigel: Ein Kolumbus namens Kraus. In: Wiener Journal, Nr. 41, Februar 1984.
83 Helmut Wohnout: Heinrich Drimmel. Skizzen zur Biographie eines homo politicus. In: Demo-
kratie und Geschichte. Jahrbuch des Karl von Vogelsang-Instituts zur Erforschung der Geschich-
te der christlichen Demokratie in Österreich. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2006, S. 65–78, hier
S. 70.
84 Vgl. Ernst Hanisch: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im
20. Jahrhundert. Wien: Ueberreuter 2005, S. 426.
85 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 26. August 1975, NL WK.
86 N. N.: Forum der Jugend. In: neue wege, November 1962.
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Biographische Einführung 31
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437