Seite - 39 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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Schlussendlich sorgte die Ausdifferenzierung des literarischen Feldes dafür,
dass Kraus immer mehr Konkurrenz erwuchs und die ÖGL ihre hegemoniale
Stellung zunehmend verlor. In den 1990er Jahren schwand Kraus Macht im Lite-
raturbetrieb. An den US-amerikanischen Historiker William
M. Johnston schrieb
er: „Hier in Wien gibt es in der Litges[ellschaft] manche Probleme, das sozialis-
tische Unterrichtsministerium, von dem ich die Hauptsubvention erhalte, grün-
dete ein „Haus der Literatur“ (20 Millionen ÖS als Grundinvestition), das Anfang
September in Mariahilf (ungünstig gelegen) gegründet wird: der Versuch, die
Literatur bzw. das literarische Leben in politisch linke Hand zu bekommen. Links
ist es ohnedies, aber jetzt soll’s richtig rot blühen.“116
In den 1990er Jahren dachte Kraus zwar zunehmend an das Niederlegen seiner
zahlreichen Funktionen, behielt jedoch die Kulturpolitik scharf im Auge. So
berichtete er Klaus, dass Peter Marboe, der die Kultursektion des Außenminis-
teriums 1991 übernommen hatte, zwar sehr gut sei, dieser jedoch „noch wenig
Begriff von Maßstäben und Wertigkeiten in der Kultur“ habe und zu „journa-
listischen Linkstouren (Elfriede Jellinek [sic], [Peter] Turrini [neige], denen sei-
ne Sympathie gehört)“, von denen er ihn „in freundschaftlichen Gesprächen“117
abzuhalten versuche. Stolz verweist er auf das 30-jährige Jubiläum der ÖGL, das
im Dezember des Jahres begangen werde, plante spätestens im Alter von 70 den
„Hut [zu nehmen,] vielleicht aber schon früher“ und befürchtete, dass man ihm
einen Nachfolger für die Gesellschaft nicht bezahlen würde: „man will hinter
mir zusperren, da es ja das ‚Haus der Literatur‘ und die ‚Alte Schmiede‘ gibt,
beide scharf links“.118 Der Innsbrucker Schriftsteller und Kritiker Walter Klier
hat nicht ganz ohne Schadenfreude festgestellt, dass „selbst ein genialer Intri-
gant“ wie Kraus „gegen Ende seiner Laufbahn seine Demontage widerstandslos
hinnehmen“119 musste.
Zu den Preisen und Anerkennungen, die Kraus für seine zahlreichen Aktivitä-
ten erhielt, zählen u. a. der Anton-Wildgans-Preis der österreichischen Indust-
rie (1978), der Republikanische Maria-Theresia-Orden (1978), das Deutsche
Bundesverdienstkreuz I.
Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutsch-
land (1978), das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I.
Klas-
se (1979), der Österreichische Staatspreis für Kulturpublizistik (1983), das Gol-
dene Ehrenzeichen der Stadt Wien (1990) sowie das Ehrendoktorat der
116 Wolfgang Kraus an William M. Johnston, 15. August 1990, NL WK.
117 Ders. an Josef Klaus, 7. Februar 1991, NL WK.
118 Ebd.
119 Walter Klier: Es ist ein gutes Land. Österreich in den neunziger Jahren. Wien: Deuticke 1995,
S. 57.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Biographische Einführung 39
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437