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bleiben die Bilder – worauf Heinz Ludwig Arnold hinweist –, mit denen man
den Literaturbetrieb zu zeichnen versucht, zwangsläufig „Vexierbilder“. Dennoch
wird mit dieser Methodik eine Erweiterung des Literaturbegriffs erreicht und
Literatur als soziales Phänomen verstanden, das aus kulturellen, sprachlichen,
sozialen, politischen und ökonomischen Konstellationen resultiert. Demgemäß
geraten die Institutionen des Betriebs in den Fokus der Aufmerksamkeit, die
den Buchmarkt, das Verlagswesen, Zeitschriften oder Zensur umfassen. Es wird
dadurch möglich Literatur aus ihren Produktionsbedingungen heraus zu begrei-
fen, wodurch der „Komplex Produktion, Rezeption und Distribution“16 verdeut-
licht wird, dass der „Text“, bevor er in gedruckter Form den Leser bzw. die Lese-
rin erreicht, auch von sozialen, politischen und wirtschaftlichen Faktoren
abhängig ist. Der Literaturbetrieb ist als Summe dieser vielfältigen Faktoren zu
betrachten und konstituiert so eine „facettenreiche Plattform“.17
Nach dieser Definition des Literaturbetriebs, der die Summe aller Einrich-
tungen, Organisationen und Personen eines Landes miteinschließt und dadurch
als eigentlich offener Begriff gelten kann, da er mit der Herstellung, der Verbrei-
tung und auch der Konsumption von Literatur zu tun hat, müssen die literatur-
und kulturgeschichtlichen sowie politischen Kontexte berücksichtigt werden.
Denn nach wie vor ist der „Literaturbetrieb“ mehr als ein bloßer Wirtschafts-
faktor: „Als Spannungsfeld von Kunst, Markt und Öffentlichkeit, von staatlicher
Förderung und ästhetischen Forderungen, von etablierten Hoch- und alterna-
tiven Subkulturen, kritischem Provokationsgestus und populärem Massenge-
schmack ist er Indikator sozialer und ästhetischer Veränderungen und sorgt in
dieser Rolle stets für neue Diskussionen“.18
So sollte auch hinsichtlich einer Institution wie der ÖGL unterschieden wer-
den, dass diese einerseits einen „Literaturbetrieb“ mit konstituierte, indem sie
Lesungen, Buchpräsentationen, Diskussionen und Symposien veranstaltete sowie
als Treffpunkt bzw. Schnittstelle zwischen Schriftstellerinnen und Schriftstel-
lern, Funktionären des Kulturbetriebs, Verlegern, Redakteuren, Journalisten und
der Öffentlichkeit funktionierte, andererseits natürlich in das „literarische Leben“
eingebunden, und um es mit Pierre Bourdieu zu formulieren, der inneren Struk-
tur des literarischen Feldes und dessen eigenen Wirkungs- und Wandlungsge-
setzen unterworfen war.19 Dies wird in der Folge z. B. bei der Einladungspolitik
16 Plachta: Literaturbetrieb, S. 12.
17 Ebd.
18 Armin Klein: Kulturbetrieb. In: Erhard Schütz (Hg.): Das BuchMarktBuch. Der Literaturbe-
trieb in Grundbegriffen. 2., durchgesehene Aufl. Reinbek/H.: Rowohlt 2005 (= Rowohlts Enzy-
klopädie 55672), S. 180–183.
19 Vgl. Pierre Bourdieu: Das literarische Feld. Die drei Vorgehensweisen. In: Louis Pinto, Franz
Schultheis (Hg.): Streifzüge durch das literarische Feld. Konstanz: Univ.-Verl. Konstanz 1997,
S. 33–148.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Biographische Einführung 47
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437