Seite - 56 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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Ab 1946 existierte die Österreichisch-Sowjetische Gesellschaft (ÖSG), die ihr
Filialnetz von ihrem Hauptsitz im Wiener Palais Coburg aus auf die Landes-
hauptstädte der Westzonen erweiterte, und deren Sektion Literatur von Hugo
Huppert geleitet wurde, der mit der Roten Armee nach Österreich zurückge-
kehrt war und als Presseoffizier der sowjetischen Besatzungsmacht arbeitete.
Obwohl die ÖSG einige literarische Veranstaltungen organisierte, blieb die öster-
reichische Literaturlandschaft von sowjetkommunistischen Einflüssen unbe-
rührt, selbst als in Wien eine Zweigstelle des Moskauer Verlags Meždunarodna-
ja kniga („Das internationale Buch“) eröffnet wurde.50 Wegen des
vorherrschenden Antikommunismus des österreichischen Lesepublikums muss
ihre Wirkungskraft als eingeschränkt bezeichnet werden.
Dass der P.E.N.-Club der unmittelbaren Nachkriegszeit – wie Schmidt-Deng-
ler konstatiert hat – zwar nicht als die Organisation gewertet werden kann, die
„über den tatsächlichen Zustand der österreichischen Literatur und ihre Quali-
tät verläßlich Auskunft gibt“,51 ändert nichts daran, dass die Vorgänge innerhalb
dieser Organisation hinsichtlich der literatur- und kulturpolitischen Situation
aufschlussreich sind, weshalb diese literaturbetriebliche Institution im Folgen-
den kurz skizziert werden soll.
Am 4. Juni 1947 begann sich der P.E.N.-Club in Zürich im Rahmen eines
Treffens zwischen Robert Neumann, Franz Theodor Csokor und Alexander
Sacher-Masoch zu konstituieren. Neumann, Mitbegründer des österreichischen
Exil-P.E.N. in England, beschloss die Mitgliedschaft der österreichischen Sekti-
on im internationalen P.E.N. Csokor wurde zum Präsidenten ernannt und Sacher-
Masoch zum Generalsekretär. Die erste Generalversammlung des österreichi-
schen P.E.N.-Club fand am 13. November 1947 statt, auf der weitere
Vorstandsmitglieder ernannt wurden.52
Hinsichtlich der Gestaltung des literarischen Lebens gab es auch seitens des
P.E.N. Bemühungen: Zwischen 1947 und 1953 organisierte er insgesamt 54 Vor-
träge, Gedenkfeiern, Autorenlesungen und Empfänge. Das sind aber im Durch-
schnitt nur zirka neun Lesungen pro Jahr. Da im Wien der Nachkriegszeit auch
50 Vgl. Michael Kraus: „Kultura“. Der Einfluss der sowjetischen Besatzung auf die österreichische
Kultur 1945–1955. Univ.-Dipl. Wien 2008.
51 Schmidt-Dengler: Bruchlinien, S. 25.
52 Zu den Vorstandsmitgliedern wurden Rudolf Kalmar, Ernst Fischer, Oskar Maurus Fontana,
Hugo Glaser, Rudolf Henz, Otto Koenig, Rudolf Jeremias Kreutz, Alexander Lernet-Holenia,
Erika Mitterer, Paula von Preradović und Ludwig Erik Tesar ernannt. Neumann nahm das Amt
eines „Ehrenpräsidenten“ ein. Hermann Broch, Ferdinand Bruckner, Elias Canetti, Theodor
Kramer und Berthold Viertel wurden zu Vorstandsmitgliedern honoris causa ernannt. Vgl.
Klaus Amann: Wiederaufbau. Der österreichische PEN-Club 1945–1955. In: Ders.: Die Dich-
ter und die Politik. Essays zur österreichischen Literatur nach 1918. Wien: Deuticke 1992,
S. 200–218.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
56 Der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437