Seite - 59 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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Treffpunkt für Autorinnen und Autoren zu schaffen, auch wenn diese hinsicht-
lich der Einladungspraxis teilweise unter einem ideologischen „Ungleichgewicht“
litten.
Zu nennen wären hier die Pürgger Dichterwochen (erstmals 17. bis 20. Sep-
tember 1953, dann vom 16. bis 20.
Juni 1954 und letztmalig vom 14. bis 18.
Sep-
tember 1955),63 die im kleinen Ort Pürgg im obersteirischen Ennstal stattfan-
den und auf die „Grazer Dichterwoche“ zurückgehen, die im November 1949
veranstaltet worden war. Als Vertreter der steirischen Dichtergarde nahmen vor
allem Schreibende teil, die zwischen 1938 und 1945 Funktionen im Literatur-
betrieb der Ostmark erfüllt hatten, wie z. B. Paul Anton Keller, Bruno Brehm
und Franz Tumler. Als Gäste wurden u. a. die ebenfalls durch ihre kultur- oder
parteipolitischen Verstrickungen mit dem Nationalsozialismus nur kurzfristig
auf der „Verbotsliste“ stehenden Autoren Franz Karl Ginzkey und Josef Fried-
rich Perkonig eingeladen.64
Zu den Motiven der arrivierten Schriftstellerinnen und Schriftsteller deutsch-
nationalen Couleurs nach Pürgg zu kommen, gehörte – wie Verena Zankl betont
hat –, das Zusammentreffen mit alten Freundinnen und Freunden sowie die
Möglichkeit, sich in das literarische Leben re-integrieren zu können, von dem
sie im Rahmen der Entnazifizierung ausgeschlossen worden waren. Aber auch
für die jüngere „unbelastete“ Generation war es die Gelegenheit, mit Kollegin-
nen und Kollegen ins Gespräch zu kommen. Die Biographien der Teilnehmerin-
nen und Teilnehmer sind durchaus repräsentativ für das restaurative literarische
und kulturelle Klima der 1950er Jahre. Ausnahmen finden sich u. a. mit Werner
Bergengruen und Frank Thiess als Vertreter der „inneren Emigration“. Auch
jüngere Autorinnen und Autoren, die erst nach 1945 zu veröffentlichen began-
nen, wurden eingeladen, z. B. Ernst Hammer, Alois Hergouth, Rudolf Stibill,
Herbert Zand, Jeannie Ebner, Wolfgang Kudrnofsky, Christine Lavant, Felicie
Rotter und Hans Weigel.
Im Bundesland Kärnten fanden 1950 erstmals die „St.
Veiter Kulturtage“ statt,
deren ursprünglicher Titel „Tagung österreichischer Autoren und Komponisten“
auf das Veranstaltungs-Spektrum verweist.65 In der Folge wurden die „Kultur-
tage“, deren literarisches Programm Hermann Lienhard organisierte, in den Jah-
63 Vgl. Verena Zankl: Die Pürgger Dichterwochen 1953–1955: Dokumentation und Analyse.
Univ.-Dipl., Innsbruck 2003.
64 Die Einladungen zur Pürgger Dichterwoche kamen häufig durch persönliche Kontakte zustan-
de. Bruno Brehm spielte dabei eine wichtige Rolle, da er v. a. mit Nazi-Literaten in Verbindung
stand; die Teilnehmerliste bestand großteils aus Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die im
„Dritten Reich“ publiziert oder einen Funktionärsstatus im Kulturbetrieb des NS-Staats inne-
hatten.
65 Vgl. Ingrid Bacher: Das literarische Leben in Kärnten in den ersten fünfzehn Nachkriegsjah-
ren. Univ.-Dipl. Klagenfurt 1984, S. 61–70.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Entwicklung(en) des Literaturbetriebs nach 1945 59
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437