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staatlichen Fördergeber unabhängig war, mit allen Vor- und Nachteilen, die sich
daraus ergaben.
Hier ist vor allem Hans Weigel zu nennen,106 der als eine der Integrationsfi-
guren der österreichischen Literatur nach 1945 gelten kann und als Entdecker
der jungen Literatur das „Geschäft der Organisation“107 verstand. Weigel „trieb
Geld auf, veranstaltete Lesungen, vermittelte Verlage, diskutierte öffentlich,
schrieb Artikel“.108
Manche jungen Autorinnen und Autoren musste Weigel sich holen, dennoch
kamen viele von selbst, wie z. B. Reinhard Federmann, den Weigel noch vom
„PLAN“ her kannte, ebenso war Milo Dor in Umgebung des „PLAN“ zu finden.
Das Café Raimund109 wurde zu Weigels Anlaufadresse für Nachwuchsautorin-
nen und -autoren, wie sich Wolfgang Kudrnofsky erinnert: „Bertrand Egger und
Gerhard Fritsch sind zum Beispiel durch den Federmann gekommen, der
Kudrnofsky durch den Toman. Die Jeannie Ebner mußte erst herangeschleppt
werden, die wohnte in einem Postfach – eine Adresse hat von der niemand
gewußt. Ilse Aichinger und Ingeborg Bachmann hingegen kannte ich bereits von
früher.“110
Zum bereits erwähnten Café Raimund, in dem sich der Autorinnen- und
Autoren-Kreis um Weigel traf, ist auch das Café Hawelka in der Dorotheergasse
als beliebter Treffpunkt zu nennen. Dort trafen sich neben den Mitgliedern der
„Wiener Gruppe“ auch Franz Theodor Csokor, Heimito von Doderer sowie Ver-
treter der jüngeren Generation, die in einem mehr oder weniger engen Verhält-
nis zur „Wiener Gruppe“ standen, z. B. Elfriede Gerstl, Ernst Jandl und Friede-
rike Mayröcker. Alexandra Millner nennt als weitere literarische Treffpunkte das
Espresso Stambul, das Café Glory, das vom Lyriker Walter Buchebner frequen-
tierte Café Sport, das Café Savoy sowie das Café Kolosseum.
Ab Herbst 1949 arbeitete Weigel bei der Zeitung „Welt am Montag“, wo er
sich ebenso für junge Autorinnen und Autoren einsetzte. Weigel veranstaltete
„Österreichische Abende“ im Kosmos-Theater, das von der US-amerikanischen
106 Vgl. dazu Wolfgang Straub (Hg.): Hans Weigel. Kabarettist, Kritiker, Romancier, Literaturma-
nager. Innsbruck, Wien, Bozen: Studien-Verlag 2014 (= Archiv der Zeitgenossen: Schriften 2),
S. 63–80.
107 Schmidt-Dengler: Bruchlinien, S. 69.
108 Daniela Strigl: Kaffeehaus und literarische Geselligkeit im Nachkriegs-Wien. In: Peter Goßens,
Marcus G. Patka (Hg.): ‚Displaced‘. Paul Celan in Wien 1947–1948. Frankfurt/M.: Suhrkamp
2001, S. 89–98, hier S. 96.
109 Dor und Federmann waren „Kernmannschaft“ im Café Raimund, von Anfang an dabei waren
Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann, Hertha Kräftner, Christine Busta, Herbert Eisenreich, erst
nach und nach stießen Gerhard Fritsch, Jeannie Ebner, Andreas Okopenko und Marlen Haus-
hofer dazu.
110 Wolfgang Kudrnofsky: Vom Dritten Reich zum Dritten Mann. Helmut Qualtingers Welt der
vierziger Jahre. Wien, München, Zürich: Molden 1973, S. 243.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
72 Der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437