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mächte die Autorinnen und Autoren ihrer eigenen Länder. Bis auf wenige Aus-
nahmen kam die österreichische Exilliteratur kaum zum Zug.
Die Ausgangssituation des Verlagswesens im Österreich der Besatzungszeit
war also denkbar schlecht. Einerseits war das bedeutende, überregionale Ver-
lagswesen Österreichs bereits durch den „Anschluss“ 1938 zerstört worden, dazu
kam die handelspolitische Isolierung des Verlagswesens, das z. B. die Schwierig-
keit mit sich brachte, Lizenzen für Werke exilierter Autorinnen und Autoren zu
erlangen. Andererseits trieb die Währungsreform 1947 die Verlage in eine pre-
käre ökonomische Situation, die bedingte, dass die junge Generation nur in Zeit-
schriften und Anthologien publiziert wurde, da Buchpublikationen stets mit
einem finanziellen Risiko auf Seiten der Verlage verbunden waren.119
Von den wirtschaftlichen Grundlagen der Buchproduktion in den ersten
Nachkriegsjahren hatten die österreichischen Produktionsstätten, im Gegensatz
zu den deutschen Druckereien, Buchbindereien und Buchlagern, weniger unter
den Bombardements des Zweiten Weltkriegs gelitten, womit die Hoffnung ver-
bunden war, Wien könnte Leipzig, die bis dahin größte Buchhandelsstadt, ablö-
sen. Kraus erinnert sich, dass „[e]norme Mengen von Büchern, meist auf schlech-
tem Holzpapier gedruckt, mit untauglichem Karton und elendem Leim
gebunden, […] auf den Markt geworfen“ wurden, und „die Buchhandlungen
setzten sie mühelos ab“.120
So kam es in der Nachkriegszeit zwar zunächst zu einer großen Zahl an Ver-
lagsgründungen,121 zum Teil auch zur Wiedereröffnung älterer Firmen, die im
„Dritten Reich“ verboten bzw. enteignet worden waren (wie z. B. Ullstein, Paul
Zsolnay oder Otto Müller), jedoch bedeutete die bereits erwähnte Währungsre-
form im November 1947 für viele Verlage den Konkurs.122 Die mit dem steigen-
den Preisniveau einhergehenden höheren Kosten für die Buchproduktion führ-
ten auch zu Einbußen im Verkauf. Dies hatte zur Folge, dass die Verleger ihr
Programm konsolidierten, sich auf Erfolgsprodukte verließen und keine Risiken
in ihrer Publikationspolitik eingingen. Der Trend im Publikumsgeschmack ver-
119 Vgl. Uwe Baur: Kontinuität – Diskontinuität. Die Zäsuren 1933–1938–1945 im österreichi-
schen literarischen Leben. Zum Problem des Begriffs „literarische Epoche“. In: Wendelin
Schmidt-Dengler, Johann Sonnleitner, Klaus Zeyringer (Hg.): Literaturgeschichte: Österreich.
Prolegomena und Fallstudien. Berlin: Erich Schmidt 1995 (= Philologische Studien und Quel-
len 132), S. 115–126, hier S. 123.
120 Wolfgang Kraus: Zwischen Trümmern und Wohlstand. Das literarische Leben in Österreich
von 1945 bis zur Gegenwart – ein Essay. In: Herbert Zeman (Hg.): Geschichte der Literatur in
Österreich. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bd. 7: Das 20. Jahrhundert. Graz: Akade-
mische Druck- und Verlagsanstalt 1999, S. 539–636, hier S. 570.
121 Vgl. Andrea Schwarz: Buchmarkt und Verlagswesen in Wien während der Besatzungszeit
1945–1955, Bd. 3. Verlagsgeschichten und Verlagsproduktion in Wien während der Besat-
zungszeit. Univ.-Diss. Wien 1992.
122 Vgl. Lunzer: Der literarische Markt. In: Aspetsberger (Hg.): Literatur der Nachkriegszeit, S. 35.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Entwicklung(en) des Literaturbetriebs nach 1945 75
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437