Seite - 89 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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Ich habe in der [ÖGL] beinahe zehn Jahre lang mitgearbeitet und das gerade in
ihrer anfänglichen und stärksten Zeit: Das Bundesministerium für Unterricht, dem
damals auch die Kunst in Bausch und Bogen überantwortet war, wollte seine lite-
rarischen Obliegenheiten besser betreut wissen, nämlich außer Haus und unbüro-
kratisch. Dort, wohin man gerade in Wien angekommene Germanistik-Professo-
ren zur Betreuung weiterleiten konnte. Als eine Spielwiese auch für jene
gegenwärtigen Schriftsteller, die damals niemand so recht haben wollte: als ein
Umschlagplatz für Beratung und Lesungen.28
Wichtig für die Anfangsjahre der ÖGL war vor allem Herbert Zand, mit dem
Kraus in einem besonderen Vertrauensverhältnis stand. Zand gehörte zu jener
Generation – in diesem Punkt dem Schriftsteller Gerhard Fritsch ähnlich –, die
„in ihrer Jugend an die Fronten des Zweiten Weltkriegs geworfen wurde und,
wenn sie zurückkam, in allen ihren Taten, Unterlassungen und Erlebnissen von
den Jahren des Krieges gezeichnet blieb“.29
In Knoppen bei Aussee als einziger Sohn von Kleinbauern aufgewachsen, bil-
dete sich Zand nach Besuch der Elementarschule vor allem als Autodidakt wei-
ter und erwarb sich ein umfassendes Wissen. Als Achtzehnjähriger an die Ost-
front geschickt, endete seine Kriegsteilnahme mit Anfang 1945 durch eine
schwere Verletzung und eine damit einhergehende Niereninsuffizienz, die sei-
nen frühen Tod im Alter von nur 47 Jahren verursachen sollte.
Bis 1954 lebte Zand auf dem Bauernhof seines Vaters im Salzkammergut. Sei-
ne dichterische Begabung wurde von Frank Thiess erkannt, der den jungen Zand
zum Schreiben ermunterte und seinen ersten, 1953 erschienenen Gedichtband
Die Glaskugel einleitete. Zand wandte sich auch an den im US-Exil lebenden
Schriftsteller Hermann Broch, mit dem er ab 1947 eine umfangreiche Korres-
pondenz führte und der ihm „als guter Ratgeber in zahlreichen Fragen, die der
junge Autor hinsichtlich seiner eigenen literarischen Produktion“30 hatte, diente.
Zand ging Anfang der 1950er Jahre nach Wien, gehörte dort zum Kreis um Hans
Weigel im Café Raimund und temporär auch zum Zirkel um Hermann Hakel.
Kraus und Zand dürften sich Anfang der 1950er Jahren kennengelernt haben,
im Nachlass von Zand findet sich ein Brief vom 16.
April 1953, in dem sich die-
ser „für die Bereitwilligkeit“31 bedankt, einen Einführungsvortrag für eine Lesung
zu halten.
28 Breicha: Eine Art Literatursalon, S. 114.
29 Wolfgang Kraus: Nachwort. In: Herbert Zand: Kerne des paradiesischen Apfels. Wien, Frank-
furt, Zürich: Europa-Verl. 1971, S. 245–265, hier S. 245.
30 Paul Michael Lützeler: Hermann Broch. Eine Biographie. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1988 (= stm
1578), S. 327.
31 Herbert Zand an Wolfgang Kraus, 16.
April 1953, Literaturarchiv der Österreichischen Natio-
nalbibliothek, Nachlass Herbert Zand, ÖLA 1/89, Sig. 1/B10/1 [im Folgenden als NL HZ zitiert].
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 89
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437