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Daneben kamen auch einige jener Autorinnen und Autoren zum Zug, die
sich den kulturpolitischen Rahmenbedingungen nach 1945 angepasst hatten,
wie der NS-belastete Schriftsteller Siegfried Freiberg, Direktor der Akademie
der bildenden Künste in Wien, der sich katholischen Kreisen annäherte; er stell-
te seinen Egon-Schiele-Roman Ihr werdet sehen… am 5.
Oktober 1967 vor. Auch
Gertrud Fussenegger, – die bereits 1933 der NSDAP beigetreten war, als diese
in Österreich noch illegal war, und aus Anlass des „Anschlusses“ 1938 im „Völ-
kischen Beobachter“ das Gedicht Als sich die Zeit erfüllte, publiziert hatte,88 –
trug am 21.
Oktober 1968 mit Die Pulvermühle ihre katholisch-klerikal gepräg-
te Prosa vor. Sie trat abermals am 4.
November 1974 auf und las aus Widerstand
gegen Wetterhähne. Auch Paula Grogger, die Mitglied der Reichsschrifttums-
kammer gewesen war, zum Bekenntnisbuch österreichischer Dichter nach dem
„Anschluss“ 1938 beigetragen hatte, dem Nationalsozialismus jedoch ambivalent
gegenüberstand,89 stellte am 5. Dezember 1975 den autobiographischen Text
Späte Matura oder Pegasus im Joch vor.
Ein einseitiges Programm?
Die kommunistische Tageszeitung „Volksstimme“ kritisierte das einseitige Pro-
gramm der ÖGL nicht ganz zu Unrecht: „Und so arm wie das Programm der Lite-
raturgesellschaft an österreichischen Beiträgen, ist österreichische Literatur doch
wohl nicht.“90 Tatsächlich gab es in den ersten fünf Jahren einen Überhang zuguns-
ten von östlichen Autorinnen und Autoren und die österreichische Literatur geriet
ins Hintertreffen (vgl. Kapitel 3.7). Darüber hinaus wurden Stimmen laut, die von
einer Stagnation hinsichtlich des Veranstaltungsprogramms der ÖGL sprachen.
Herbert Nedomansky stellte in diesem Zusammenhang fest, dass die durch das
Unterrichtsministerium vergebenen Mittel nicht mehr genügen würden, um „das
bisher Erreichte zu erhalten“ und die österreichischen Schriftstellerinnen und Schrift-
steller aufgrund der „Sparmaßnahmen im Bereich der Künste beunruhigt seien“.91
Bis zum Saisonschluss im Juni 1966 hatte die ÖGL insgesamt 185 Veranstal-
tungen bestritten. Im Programm dominierten die Lesungen der literarischen
88 Vgl. zu Gertrud Fussenegger: Uwe Baur, Karin Gradwohl-Schlacher (Hg.): Literatur in Öster-
reich 1938–1945. Handbuch eines literarischen Systems. Bd. 3: Oberösterreich. Wien, Köln,
Weimar: Böhlau 2014, S. 207–214.
89 Vgl. zu Paula Grogger: Baur, Gradwohl-Schlacher (Hg.): Literatur in Österreich 1938–1945.
Handbuch eines literarischen Systems. Bd. 1: Steiermark. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2008,
S. 124–130.
90 Vgl. Volksstimme, 30. Juni 1966.
91 Herbert Nedomansky: Stagnation ist Rückschritt. Zur Situation der ÖGL. In: Die Presse, 23.
Juni
1966.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
106 Die Österreichische Gesellschaft für Literatur (1961–1975)
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437