Seite - 107 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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Intelligenzija aus dem Osten gegenüber den österreichischen Autorinnen und
Autoren. Letzteren waren im Rahmen der Buch-Premieren zwischen 1963 und
1965 u. a. folgende Präsentationen von Neuerscheinungen gewidmet: Die Wand
von Marlen Haushofer, der Lyrikband Seltsame Tage von Andreas Okopenko,
Die Wasserfälle von Slunj von Heimito von Doderer, der Roman Talmi von Oskar
Jan Tauschinski, Figuren in Schwarz und Weiß von Jeannie Ebner, der Erzähl-
band Der Urgroßvater von Herbert Eisenreich, Ein fremder Garten von Hanne-
lore Valencak, Jahr und Tag Pohanka von Alois Vogel, Der Wolkenfisch von Rudolf
Bayr, Unterwegs zu älteren Frauen von Christine Busta, Der Piber von Fritz
Habeck sowie Die Herren Söhne von Peter von Tramin. Mit einigen Ausnahmen
sind dies vor allem Autorinnen und Autoren, die von formal-ästhetischen lite-
rarischen Kriterien her traditionellen Schreibweisen verhaftet waren. Ein Über-
hang lässt sich hier hinsichtlich der Generation der zwischen 1920 und 1930
Geborenen erkennen, die nach 1945 zu publizieren begann. Die Abstinenz von
politischen und gesellschaftlichen Fragestellungen in der Literatur der jungen
österreichischen Autorinnen und Autoren lässt sich aus dem Zusammenwirken
mehrerer Faktoren begreifen. So war das Anknüpfen an die Vergangenheit unter
den Habsburgern zentral, um eine neue nationale Identität zu gewinnen,92 wie
dies z. B. bei Herbert Eisenreich der Fall war, der im November 1962 mit der
Erzählung Der Urgroßvater sowie seinem Essayband Reaktionen auftrat. Aller-
dings wurde die von Fritsch und Breicha herausgegebene Anthologie Aufforde-
rung zum Mißtrauen, die diesen apolitischen Tendenzen entgegenstand, im
Dezember 1967 in Form einer Diskussion präsentiert. Kraus sprach mit dem
Verleger Wolfgang Schaffler, den Herausgebern sowie einigen Beiträgerinnen
und Beiträgern des Buches, wie Hilde Spiel, Harald Kaufmann, Paul Kruntorad,
Otto Mauer, Alfred Schmeller, Milo Dor und Hans Weigel, der, so Kraus, „an
der Geburtsstunde dieser Zeit“93 nach 1945 gestanden war. Kruntorad kritisier-
te, dass „die Auswahl leider nach dem, was sich etabliert und nicht, was das Bild
der Zeit bestimmt hätte, getroffen worden“ sei, aus dem Publikum hatte sich
Rüdiger Engerth gemeldet und „bedauerte die Vernachlässigung der Drama-
tik“.94
92 Vgl. Günther Stocker: Politische Literatur aus Österreich. Reinhard Federmann: „Das Him-
melreich der Lügner“. In: Günter Häntzschel (Hg.): Das Jahr 1959 in der deutschsprachigen
Literatur. München: Ed. Text+Kritik 2009 (= Treibhaus 5), S. 259–275.
93 Aufforderung zum Mißtrauen. Literatur, Bildende Kunst und Musik in Österreich seit 1945.
Diskussion zur Bucherscheinung, Ausschnitt: Erinnerungen von Hans Weigel, 1. Dezember
1967, Österreichische Mediathek. http://www.mediathek.at/atom/151B4192-01E-0000B-
00000D9C-151A1537 [zuletzt aufgerufen am 15.1.2020]
94 Bau.: Aufforderung zum Mißtrauen. In: Arbeiter-Zeitung, 3. Dezember 1967, S. 8.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 107
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437