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Die Öffnung hin zu den jüngeren Generationen
Auf eine ihren Werken gewidmete Veranstaltung mussten nicht nur einige jün-
gere Autorinnen und Autoren länger warten, sondern auch zentrale Persönlich-
keiten des Literaturbetriebs wie Friedrich Torberg,95 wie er in einem verärgerten
Brief anmerkte: „Ich warte ja immer noch auf meinen eigenen Autoren-Abend,
den wir im Frühjahr 1964 anlässlich meiner Herzmanovsky-Lesung vereinbart
hatten und der dann in der Saison 1964/65 aus einem unvorhergesehenen Ter-
minmangel nicht zustandekam. Sie werden sicherlich verstehen, dass ich kein
zweites Mal mit einem solchen Verhinderungsgrund konfrontiert werden möch-
te.“96 Allerdings organisiert die ÖGL die Feierlichkeiten anlässlich seines
60. Geburtstages.
Wirft man einen Blick in das Veranstaltungsprogramm der ÖGL zwischen 1962
und 1965, fällt das nicht gerade ausgewogene Verhältnis zwischen der älteren
und jüngeren Generation auf: Neben Felix Braun (dreimal), Heimito von Dode-
rer (siebenmal), Karl Franchy (einmal), Alexander Lernet-Holenia (viermal)
und Albert Paris Gütersloh (achtmal), treten auch Rudolf Henz (viermal), Ernst
Schönwiese (dreimal) und Friedrich Schreyvogl (dreimal) auf. Dies lag auch
daran, dass es noch keinen österreichischen Verlag gab, der sich ausschließlich
den jungen Talenten im eigenen Land widmete. Der bestimmenden Anzahl der
Traditionalisten steht zunächst bis zirka Mitte der 1960er Jahre – das literatur-
geschichtliche Diktum erfüllt sich auch hinsichtlich des Veranstaltungspro-
gramms der ÖGL – die Ausklammerung der Avantgarde gegenüber. Es sei aber
auch darauf hingewiesen, dass z. B. die ehemaligen Mitglieder der „Wiener Grup-
pe“, die eine progressivere Auffassung darüber vertraten, was Literatur zu sein
bzw. zu leisten hatte, zu dieser Zeit noch keine Buchveröffentlichungen vorzu-
weisen hatten und erst über die Veröffentlichung in deutschen Verlagen auch
in Österreich rezipiert wurden.
Ein gern eingeladener Gast der jüngeren Generation war Thomas Bernhard.
Bereits am 15. Mai 1963 fand eine Pressekonferenz anlässlich des Erscheinens
seines Erstlingsromans Frost statt. Noch bevor die Rezeption in der Bundesre-
publik einsetzte, etwa durch die hymnische Rezension von Carl Zuckmayer, die
erst im Juni in der „Zeit“ erscheinen sollte,97 stellte die ÖGL den Autor im Rah-
95 Vgl. Michael Hansel: „…ein Lackerl Geifer zu erzeugen“. Friedrich Torberg als Vermittler und
Verhinderer von Literatur. In: Marcel Atze, Marcus
G. Patka (Hg.): Die „Gefahren der Vielsei-
tigkeit“. Friedrich Torberg 1908–1979. Wien: Holzhausen 2008 (= Wiener Persönlichkeiten 6),
S. 121–142.
96 Friedrich Torberg an Wolfgang Kraus, 25. Juni 1965, ÖGL-Archiv.
97 Vgl. Carl Zuckmayer: Ein Sinnbild der großen Kälte. In: Die Zeit, 21. Juni 1963.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
108 Die Österreichische Gesellschaft für Literatur (1961–1975)
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437