Seite - 113 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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Das 10-jährige Jubiläum der „manuskripte“ wurde 1970 in Wien, jedoch nicht
in der ÖGL begangen. Kraus war darüber sehr enttäuscht, wie sich einem Brief
an Kolleritsch entnehmen lässt:
mit aufrichtigem Bedauern habe ich festgestellt, daß Sie Ihre letzte Pressekonferenz
über die ‚Manuskripte‘ nicht bei uns veranstaltet haben und es nicht einmal für
nötig fanden, uns zu dieser Pressekonferenz einzuladen. Erlauben Sie mir, daß ich
Ihnen in Erinnerung rufe, wie sehr wir Ihnen in früheren schwierigen Zeiten an
entscheidender Stelle Schützenhilfe geleistet haben und immer wieder, nicht zuletzt
in unseren Räumen, für Sie eingetreten sind. Ich möchte Sie auch daran erinnern,
daß manche andere Leistungen, die Angehörige des ‚Forum Stadtparks‘ und Mit-
arbeitern der ‚Manuskripte‘ zugute gekommen sind und weiter zugute kommen,
auf unsere Initiative hin geschaffen wurden. Sie werden verstehen, daß ich nicht
zuletzt in menschlicher Hinsicht von Ihrer Untreue enttäuscht bin.117
Tatsächlich waren im Zeitraum zwischen 1967 und 1970 verstärkt Autorinnen
und Autoren aus dem Umkreis der „Grazer Gruppe“ vermehrt vertreten. Am
18. Februar 1969 las Wolfgang Bauer aus seinem Stück Change vor. Wie ein
Rezensent bemerkte, wusste das Publikum denn auch „das Ereignis entsprechend
zu würdigen und bevölkerte den Figaro-Saal des Palais Pálffy bis zum Bersten“.118
Bauer gab auch sein in den 1970er Jahren kontrovers diskutiertes Theaterstück
Gespenster in der ÖGL zum Besten, und zwar im Mai 1974, kurz vor der Pre-
miere in den Münchner Kammerspielen.119 Am 14. Februar des selben Jahres
lasen in der von Otto Breicha eingeführten Reihe „Profile der neuen Literatur“
Hoffer und Michael Scharang. Letzterer hatte mit seinem Prosaband Verfahren
eines Verfahrens, der 1969 bei Luchterhand mit einem Nachwort von Helmut
Heißenbüttel erschien, großen Erfolg in der Bundesrepublik. „Was einen Abend
lang zu hören war“, merkt ein Rezensent an, „unterscheidet sich von der Litera-
tur, wie sie vor fünf und zehn Jahren gegolten hat, recht beträchtlich“, was sich
für ihn v. a. in der „resoluten Abkehr vom Dahinerzählten“120 exemplifiziert.
Ende Oktober 1969 sind dann Kolleritsch selbst und Peter Matejka zu Gast in
der ÖGL. Dass die Avantgarde damit salonfähig wurde, hat ein Rezensent der
Veranstaltung festgehalten: Im Zeichen „‚repressiver Toleranz‘, wie man so sagt“,
lade die ÖGL auch „neue Autoren“ zu Lesungen ein, und „selbst der radikalste
117 Wolfgang Kraus an Alfred Kolleritsch, 27. November 1970, ÖGL-Archiv.
118 Herbert Berger: Ein janusköpfiger Grazer. In: Volkblatt, 20. Februar 1969, S. 7.
119 Vgl. Evelyne Polt-Heinzl: Kulturskandale der 1970er Jahre. Lauter kleine Staatsoperetten. In:
Dies. (Hg.): Staatsoperetten. Kunstverstörungen. Das kulturelle Klima der 1970er Jahre. Wien:
Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur 2009 (= Zirkular Sondernummer
75), S. 9–42, hier S. 16 f.
120 A. L.: Verfahren eines Verfahrens. In: Kurier, 22. Februar 1969, S. 11.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 113
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437