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Gast hat dies bereitwillig getan, statt im Apo-Jargon [„Außerparlamentarische
Opposition“, Anm. d. Verf.] zur Inbesitznahme der Produktionsmittel aufzuru-
fen.“121
Ob auch ein gewisser Grad der „Autonomisierung“ des literarischen Feldes
mit den Lesungen der Mitglieder der „Grazer Gruppe“ einherging, kann an die-
ser Stelle nicht beantwortet werden. Wer sich sicherlich fördernd hinsichtlich
dieser neuen Literatur auswirkte, war Otto Breicha, der auch immer wieder die
geschäftlichen Korrespondenzen mit den Autorinnen und Autoren dieser Grup-
pe führte und ab 1972 als Leiter des „Grazer Kulturhauses“ fungierte.
Die „Wiener Gruppe“ in der ÖGL
Ebenso kam die mittlerweile klassisch gewordene Wiener Avantgarde der 1950er
Jahre in der ÖGL spät, aber doch zum Zug. Der „Cluster aus Wiener Gruppe,
Wiener Aktionismus und Umfeld“, so hat Klaus Kastberger festgestellt, sei eine
„weltweit einzigartige Erscheinung“ gewesen, weil „er aus einer Simultaneität
von Avantgarde und Neoavantgarde“ bestanden habe.122 Die Gruppe erhielt ihren
Namen darüber hinaus erst, als es sie eigentlich schon nicht mehr gab. Die „Wie-
ner Gruppe“ wurde erst ab Mitte der 1960er Jahre breiter rezipiert, während das
Echo, das sie in den 1950er Jahren hervorgerufen hatte, sehr negativ ausgefallen
war. 1967 hatte Gerhard Rühm den Sammelband Die Wiener Gruppe bei Rowohlt
herausgegeben, der Texte versammelte, die im Kollektiv entstanden waren; damit
erst setzte eine breite Rezeption ein. Die „Wiener Gruppe“, zu der Rühm, Fried-
rich Achleitner, H.
C. Artmann, Konrad Bayer und Oswald Wiener gezählt wer-
den, hatte „von der Sprache her einen Anarchismus entwickelt, der nicht nur
über sprachliche, sondern auch über gesellschaftlich-moralische Konventionen
hinwegschreitet (literarische cabarets, poetische acte)“.123 Diese Aktionsform von
Literatur, die bisweilen in Aktionismus und Happening bestand, wäre für eine
Präsentation in der ÖGL eher ungeeignet gewesen. Abgesehen davon war bis
Mitte der 1960er Jahre eine „sprachkritische, sinnliche, ‚destruktive‘ Kunst [...],
die nicht mehr in den sanktionierten Bereichen einer höheren Welt des Guten,
Wahren und Schönen verwies […], als kommunistisch, pathologisch, kriminell
oder zumindest unfähig denunziert“124 worden. Dies hat auch mit dem Kalten
121 Hannes Schneider: Literarisches und Lustiges. Kolleritsch und Matejka lasen in der Literatur-
gesellschaft. In: Kurier, 29. Oktober 1969, S. 11.
122 Kastberger: Wien 50/60. In: Eder, ders. (Hg.): Schluss mit dem Abendland, S. 7.
123 Kristina Pfoser-Schewig: …keine Figur in einem gemeinsamen Spiel. Ernst Jandl und die Wie-
ner Gruppe. In: Walter-Buchebner-Gesellschaft (Hg.): Die Wiener Gruppe. Wien, Köln, Wei-
mar: Böhlau 1987 (= Walter-Buchebner-Literaturprojekt 1), S. 69–82, hier S. 79.
124 Kristina Pfoser-Schewig, Ursula Seeber: „…der spiesser fühlt sich auf sein wiener schnitzel
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
114 Die Österreichische Gesellschaft für Literatur (1961–1975)
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437