Seite - 123 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
Bild der Seite - 123 -
Text der Seite - 123 -
notiert, dass er die Gruppe „Wespennest“ im Vergleich dazu „blaß, ratlos, naiv“154
fand. Im Dezember 1973 lasen Manfred Chobot und Werner Kofler, die eben-
falls mit der „Edition Literaturproduzenten“ assoziiert waren, „Projekte, Projek-
tionen und Prosa“ vor. Im Februar 1974 traten Elfriede Gerstl und Hermann
Hendrich auf, die zu diesem Zeitpunkt ebenfalls zur Gruppe um die „Literatur-
produzenten“ gehörten.
Die 1974 begonnene Reihe „Der Souffleurkasten“, die im Thomas-Sessler-Ver-
lag erschien und es sich zur Aufgabe gemacht hatte, österreichische Lehrer und
dadurch die Jugend mit preiswerten Textausgaben der wichtigsten Stücke öster-
reichischer Gegenwartsdramatikerinnen und -dramatiker zu versorgen, wurde
nicht vorgestellt, obwohl sie vom Unterrichtsministerium subventioniert wur-
de.155 Es erschienen u. a. Dramentexte von Artmann, Jandl, Mayröcker, Dor,
Turrini und Henisch.
Auffällig ist auch, dass bis zur ersten Hälfte der 1970er im Programm der ÖGL
eine große Anzahl von Werken jener Autorinnen und Autoren aufscheint, die
im Europa Verlag erschienen waren. Dieser Überhang ist damit zu erklären, dass
Kraus das literarische Programm des Verlags seit 1972 leitete (vgl. Kapitel 4.3.1).
Insgesamt siebzehn Bücher wurden vorgestellt, darunter, neben österreichischen
Autorinnen und Autoren, wie z. B. Kurt Benesch, Franz Rieger, Alfred Paul
Schmidt, Jutta Schutting, Werner Schneyder, Peter Daniel Wolfkind und Ernst
Hinterberger, auch François Bondy sowie eine zweisprachige Ausgabe der Gedich-
te W. H. Audens, die von Hella Bronold übersetzt worden war.
Der Pluralität, die von konservativ-antimodernistischen bis zu progressiv-avant-
gardistischen Schreibweisen reichte, ein Podium zu bieten, lobte die „Presse“ im
sechzehnten Jahr des Bestehens der ÖGL: „Kraus konnte verhindern, daß seine
vom Unterrichtsministerium finanzierte Stelle eine Kanzel für bestimmte Stil-
richtungen und Gruppen wurde“, und es habe für Kraus, der selbst Mitglied des
österreichischen P.E.N.-Clubs war, „auch in der Zeit des fatalen Kampfes zwi-
schen PEN und der Grazer Autorenversammlung […] immer nur ein Kriterium“
gegeben, „die Qualität“.156
Diese Gegenüberstellung von literaturästhetischen Positionen kann als ein
Verdienst der ÖGL gewertet werden, denn zwischen den Autorinnen und Auto-
ren der mittleren und der jüngeren bis hin zur jüngsten Schriftstellergeneration
154 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 27. November 1973, NL WK.
155 Vgl. Murray G. Hall: Die österreichische Verlagslandschaft. In: Friedbert Aspetsberger, Hubert
Lengauer (Hg.): Zeit ohne Manifeste? Zur Literatur der siebziger Jahre in Österreich. Wien:
ÖBV 1987 (= Schriften des Institutes für Österreichkunde 49/50), S. 70.
156 Vgl. Die Presse, 11. November 1977.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 123
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437