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Kanonisierungsgruppe selbst einen Platz zuzuweisen und weist darauf hin, dass
sich alle „befragten österreichischen Autoren als stark traditionsbewußte Schrift-
steller“ erwiesen hätten und sich ihrer „nationalen Eigenart“ bewusst seien, dabei
„doch keineswegs nationalistisch, sondern stets angesiedelt in jenem übernati-
onalen Raum, den der alte Völkerstaat der Donaumonarchie als großes Erbe
hinterlassen hat“.178
Propagierung einer österreichischen Literatur
Abgesehen von diesen Ansätzen zur Entwicklung eines Kanons, an dem vor allem
durch das laufende Veranstaltungsprogramm aktiv mitgearbeitet wurde, gab es von
Anfang an die Intention, die österreichische Literatur im Ausland zu propagieren.
Das Österreichische Kulturinstitut in London benachrichtigte die ÖGL z. B. 1962,
dass der britische Verlag Penguin Publishing einen Band mit Kurzgeschichten zeit-
genössischer deutschsprachiger Autorinnen und Autoren im Original und in eng-
lischer Übersetzung plante. Dabei sollte die Hälfte des Bandes der österreichischen
Literatur in Form von acht bis zehn Kurzgeschichten zur Verfügung stehen. Die
ÖGL sollte im Auftrag des Bundesministeriums für Unterricht zehn Geschichten
vorschlagen. Kraus notierte handschriftlich auf dem Brief des Unterrichtsminis-
teriums folgende Kandidatinnen und Kandidaten: „Zand, Habeck, Benesch, Fritsch,
[Karl] Wawra, Eisenreich, Humbert Fink, Tumler, Haushofer, [Hannelore] Valen-
cak, [Jeannie] Ebner, Doderer, Saiko, etc. Lebert“.179 Dies sind Autorinnen und
Autoren, die regelmäßig in der ÖGL auftraten, den konservativen bis traditionel-
leren Strömungen zurechenbar sind – George Saiko, Marlen Haushofer und Hans
Lebert dürfen hier als Ausnahme gelten – und Kraus’ über lange Jahre als Vorzei-
gebeispiel einer neuen österreichischen Literatur nach 1945 galten.
Die ÖGL organisierte auch Ausstellungen, darunter im Februar 1963 eine von
Otto Breicha zusammengestellte Wanderausstellung, die sich mit der österreichi-
schen Literatur auseinandersetzte. Im Mai 1964 war eine Ausstellung „Grillpar-
zer auf Österreichs Bühnen“ und im November 1965 eine weitere Georg Trakl
gewidmet.
Basis und Überbau: Öffentliche Diskussionen
In öffentlichen Diskussionen galt es zunächst, der österreichischen Literatur
einen festen institutionellen, historischen, sozioökonomischen und politischen
178 Ebd., S. 48.
179 Vgl. Bundesministerium für Unterricht an ÖGL, 24. Jänner 1962, ÖGL-Archiv.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 129
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437