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von der ÖVP geleiteten und verwalteten Ministeriums sicher nicht am Her-
zen“,277 wie Hilde Spiel hinsichtlich der Einladungspolitik der ÖGL festgehal-
ten hat.
Kulturpolitische Versäumnisse
Die Rückholung und Reintegration der österreichischen Emigrantinnen und
Emigranten durch die offiziellen staatlichen Stellen war nach 1945 stark ver-
nachlässig worden. Dies hatte aus gesellschaftspolitischer Perspektive auch damit
zu tun, dass der „antifaschistische Konsens“ der Regierungsparteien, die sich
aus der Unterdrückung der (nun wieder) demokratischen Parteien durch das
NS-Regime erklärt, durch die sogenannte Opferthese abgelöst und innen- sowie
außenpolitisch instrumentalisiert wurde. Dies hatte Konsequenzen für den
Umgang mit den Exilierten in Wissenschaften, Politik und Kunst. Konstantin
Kaiser hat registriert, dass Ende der 1950er Jahre bis Anfang der 1970er Jahre
eine „öffentlich manifeste Rezeption der Exilliteratur kaum feststellbar“278 gewe-
sen sei.
Es waren vielfältige Kontexte, die sowohl einer Rückkehr als auch der Aner-
kennung der Schriftstellerinnen und Schriftsteller in ihrer ehemaligen Heimat
im Weg standen. Diese reichen von wirtschaftlichen, kulturpolitischen bis hin
zu persönlichen, die Exilantinnen und Exilanten betreffenden Faktoren, weshalb
etwa die „Bilderbuch-Heimkehr“279 von Hans Weigel Ende Juli 1945 als Ausnah-
me gelten sowie seine Haltung generell als Extremposition bezeichnet werden
muss. 1932 aus der Israelitischen Kultusgemeinde ausgetreten, bezeichnete er
sich seither als Nichtjude, emigrierte wenige Tage nach dem „Anschluss“ in die
Schweiz, und weigerte sich, ein Visum in die USA anzunehmen, um geographisch
möglichst nahe an Österreich bleiben zu können. Gegenüber Friedrich Torberg
hat er das Klima in der Schweiz als „absolut scheußlich“280 beschrieben, gleich-
zeitig hat er die Vernichtung der europäischen Juden marginalisiert, wenn er etwa
unter dem Titel „Wir sind quitt“, im „Wiener Kurier“ im Oktober 1945 folgendes
277 Spiel: Die österreichische Literatur nach 1945, S. 98.
278 Konstantin Kaiser: Phasen der Rezeption und Nicht-Rezeption des Exils in Österreich – skiz-
ziert am Skandal der Exilliteratur. In: Evelyn Adunka, Peter Roessler (Hg.): Rezeption des Exils.
Geschichten und Perspektiven der österreichischen Exilforschung. Wien: Mandelbaum-Verl.
2003, S. 21–34, hier S. 25.
279 Vgl. Hans Weigel: Eine Bilderbuch-Heimkehr. Kapitel aus meinen nichtgeschriebenen Memoi-
ren. In: Jochen Jung (Hg.): Vom Reich zu Österreich. Kriegsende und Nachkriegszeit in Öster-
reich. Salzburg, Wien: Residenz Verl. 1983, S. 76–82.
280 Hans Weigel an Friedrich Torberg, 28. Februar 1946, Wienbibliothek im Rathaus, ZPH 588,
Nachlass Friedrich Torberg, Archivbox 23 [im Folgenden zitiert als NL FT].
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
156 Die Österreichische Gesellschaft für Literatur (1961–1975)
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437