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seinem Nachfolger Kurt Schuschnigg etabliert worden war und die demokrati-
schen Strukturen annullierte. Die Lektion der Ersten für die Zweite Republik
war: „Nie wieder Bürgerkrieg!“,284 jedoch begann bereits nach den Februarkämp-
fen 1934 die antifaschistische Emigration eben jener sozialdemokratischen und
kommunistischen Funktionäre bzw. Angehörigen des „Republikanischen Schutz-
bundes“, die in der „Februarkälte“ aus Österreich flüchten mussten, darunter u.
a. Ernst Fischer, Hugo Sonnenschein, Josef Maria Hofbauer, Josef Luitpold Stern,
Max Winter. Ein Teil der Exilierten ging über die Tschechoslowakei in die Sow-
jetunion, wo zahlreiche Emigrantinnen und Emigranten um 1937/38 Opfer der
stalinistischen Säuberungen wurden.285
Ein weiterer hemmender Aspekt war das Auseinanderbrechen der vormals
Alliierten USA und Sowjetunion, welche sich ab 1947 in einer „Systemkonfron-
tation“ befanden. Eine Vielzahl der nach Österreich zurückgekehrten Intellektu-
ellen erging sich in „einem Österreich, das deutlich vom Kalten Krieg gezeichnet
war, im Heimatlob“;286 politisch nicht eindeutig zuordenbare Schriftstellerinnen
und Schriftsteller wurden als „Fellow Traveller“ diffamiert, was durchaus als
Kampf um die Produktionsmittel im literarischen Feld interpretierbar ist.287 Der
Schriftsteller Ulrich Becher, der zwar zunächst in Österreich mit seinem gemein-
sam mit Peter Preses verfassten Stück Der Bockerer am Theater in der Scala in
Wien reüssieren konnte, vermerkte, er sei von anderen Emigranten boykottiert
worden. Hinter diesen sind unschwer Weigel und Torberg erkennbar, die sich
mit ihren Konstruktionen des Österreichischen in die neue Nation mit einschrie-
ben. Becher bezeichnet diese Schriftsteller als eine „gewisse Spezies von Emigran-
tenschreibern, die früher mal links taten, sich eines Rechteren bis Ultrarechteren
besannen und im Exil verschweinten wie Odysseus’ Mannen auf der Kirke-Insel,
diese Burschen („verhetzte Burschen“ nannte Thomas Mann sie), die nach dem
Hitlerkrieg den Kalten Krieg für sich“288 gepachtet hatten.
284 Vgl. Ernst Hanisch: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im
20. Jahrhundert. Wien: Carl Ueberreuter 1994, S. 397.
285 Vgl. Barry McLoughlin, Josef Vogl: „… Ein Paragraf wird sich finden.“ Gedenkbuch der öster-
reichischen Stalin-Opfer (bis 1945). Wien: Dokumentationsarchiv des österreichischen Wider-
standes 2013, S. 56.
286 Birgit Lang: Österreichische Exilliteratur/Forschung als Arbeit am nationalen Gedächtnis? In:
Adunka, Roessler (Hg.): Rezeption des Exils, S. 239–248, hier S. 243.
287 Vgl. Elisabeth Prinz: Im Körper des Souveräns. Politische Krankheitsmetaphern bei Arthur
Koestler. Wien: Braumüller 2011 (= Wiener Arbeiten zur Literatur 25), S. 33.
288 Ulrich Becher: In memoriam Hohner-Baby. In: Ders.: SIFF. Selektive Identifizierung von Freund
und Feind (Selective Identification of Friend and Foe: Radar-Code der US-Navy im Zweiten
Weltkrieg). Zürich, Köln: Benzinger 1978, S. 140–146, hier S. 144; Hermann Hakel hat über
diese Praxis des Kalten Krieges, die ehemaligen Nationalsozialisten wieder gesellschaftsfähig
zu machen, in Bezug auf Heimito von Doderer und seine Beziehung zu Remigranten folgendes
festgehalten: „Aber sein [Doderers] Aufstieg unter den Konservativen und Katholischen, die
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
158 Die Österreichische Gesellschaft für Literatur (1961–1975)
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437