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gen österreichischen Intellektuellen den Weg zurück erleichtert haben“.303 Die
Freundschaft zwischen Kraus und Esslin riss ein Leben lang nicht ab. Wie Birgit
Lang festgestellt hat, traten mancherorts die österreichischen Exilantinnen und
Exilanten „als geschlossene Gruppe mit bestimmten Interessen auf“, wobei sie
insbesondere auf das englische Exil hinweist, wo „auf alte Freundesnetzwerke
zurückgegriffen“ wurde; „manchmal entstanden Koalitionen zwischen Gruppen
aus Österreich, die sonst wohl nicht zustande gekommen wären“.304 Die nach
England emigrierten Schriftstellerinnen und Schriftsteller bildeten dann in den
ersten Jahren einen Schwerpunkt, wie am Veranstaltungsprogramm der ÖGL
ablesbar ist.
Kraus war stets darum bemüht den eingeladenen Exilautorinnen und -autoren
ein möglichst großes Publikum zu bieten und sie in verschiedenen Medien zu
präsentieren. Als Mitarbeiter im Außenministerium, Cheflektor in diversen Ver-
lagen und Korrespondent sowie Literaturkritiker in verschiedenen deutschspra-
chigen Zeitungen bzw. als Moderator und Gestalter von literarischen ORF-Pro-
grammen verfügte er über zahlreiche Möglichkeiten, die „Werbetrommel“ zu
rühren und seinen Gästen die nötige öffentliche Aufmerksamkeit zukommen
zu lassen. Er betrieb umfassende Medienarbeit, schickte Presseaussendungen
bei wichtigen Besuchen aus und versuchte, seinen Gästen zu staatlichen Aus-
zeichnungen zu verhelfen. Kraus bemühte sich für die Exilautorinnen und -auto-
ren auch um Publikationsmöglichkeiten in österreichischen Verlagen, wie z. B.
für Sperber im Europa-Verlag, wo eine Werkausgabe erscheinen sollte.
Kraus weitete den Begriff „Exilautorin“ bzw. „Exilautor“ auf Persönlichkeiten
aus den Geistes- und Literaturwissenschaften sowie auf Übersetzerinnen und
Übersetzer aus,305 und die ÖGL knüpfte auch Kontakte zur internationalen Ger-
manistik. Es wurden hier vor allem jene im Jahre 1938 emigrierten Literatur-
wissenschaftler mit Wiener Wurzeln zu Vorträgen und Symposien eingeladen,
wie z. B. Sokel, der 1963 einen Vortrag über „Kafka – Expressionismus und Iro-
nie“ hielt. Im April 1964 sprach der US-amerikanische Germanist William H.
Rey über Arthur Schnitzler, ebenso wurde Eduard Goldstücker, der 1963 die
Kafka-Konferenz auf Schloss Liblice bei Prag mit initiiert hatte, 1964 eingela-
den. Aber auch jene Literaturwissenschaftler, die erst im Exil germanistische
Pfade betreten und in Amerika ihr Studium absolviert hatten, wie Peter Heller
303 Ders. an Wolfgang Kraus, 7. März 1962, ebd.
304 Birgit Lang: Österreichische Exilliteratur/Forschung als Arbeit am nationalen Gedächtnis? In:
Adunka, Roessler (Hg.): Rezeption des Exils, S. 239–248, hier S. 239 f.
305 Vgl. Marianne Gruber: Die Österreichische Gesellschaft für Literatur und die Exilliteratur. In:
Adunka, Roessler (Hg.): Rezeption des Exils, S. 81–85.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 163
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437