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wird“376, und sollte unabhängig von literaturhistorischer Einordnung und vorge-
gebenen Wertungen geschehen, um das Urteil über den Text kritisch zu fundie-
ren.
Die wichtigsten Veranstaltungen des „Forums der Jugend“ zwischen 1962 bis
1963 betreffen Franz Kafka, Georg Trakl, Robert Musil, der Germanist Hans
Mayer hielt einen Vortrag über „Hofmannsthal und Strauß“ und Gerhart Bau-
mann über „Hofmannsthal – Welttheater gestern und heute“, darüber hinaus
wurden Diskussionen über Theaterpremieren wie z. B. Rolf Hochhuths Der Stell-
vertreter organisiert.
Die „Neuen Wege“ konstatieren, dass das „Forum“ zu einer Institution gewor-
den sei aufgrund der „Intensität des Gedankenaustausches“ sowie der „Ergeb-
nisse der Kontakte zwischen Schriftstellern, Literaturwissenschaftlern und jun-
gen Menschen“.377
Niederle spricht von zwei Gruppen, die sich in diesem „Kleinen Seminar“
versammelten: Eine forderte „das Ende der Literatur bis zu dem Augenblick, an
dem eine Revolution die bürgerliche Gesellschaft hinweggefegt hatte“.378 Die
andere Gruppierung war auf das Formale beschränkt und stand den politischen
Autorinnen und Autoren rund um die „Gruppe 47“ herablassend gegenüber,
ebenso Werken von Lernet-Holenia, Torberg und Spiel, die als „Dienstmädchen-
literatur unserer Tage“ bezeichnet und als unwichtig abgetan wurden: „In diesen
Kampf der Gegensätze lud das Forum der Jugend zu einem fünfteiligen Seminar,
das vierzehntägig stattfinden und jeweils eine Doppelstunde dauern sollte“.379
Im „Forum der Jugend“ lasen u. a. Herbert Eisenreich, Thomas Bernhard und
Peter Handke, die Seminare zwischen 1964 und 1965 betrafen Textinterpretati-
onen von Klassikern wie Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Hölderlin und
Jean Paul, aber auch Werke von Robert Musil, Hermann Broch, George Saiko,
Heimito von Doderer, Josef Weinheber und Hans Lebert. 1966 bis 1967 disku-
tierte man mit Fritz Hochwälder sowie über die Inszenierung von Brechts Das
Leben des Galilei am Burgtheater, den Sinn und die Wirkung von Literaturzeit-
schriften und die literarische Beschaffenheit eines konkreten Texts. 1967 stand
die „Wiener Gruppe“ sowie das absurde und dokumentarische Theater jeweils
im Zentrum eines Seminars; Veranstaltungen trugen Titel wie „Warum ist Adal-
bert Stifter der Liebling der Professoren?“, „Wie frivol ist Arthur Schnitzler?“
oder „Kann man Franz Kafka enträtseln?“ Im darauffolgenden Jahr widmete
376 Herbert Kraus und Karl Stuhlpfarrer: Forum der Jugend. 1. Seminar, 7. April 1964, 3 Bl., hier
Bl. 1. NL GF, Archivbox 26.
377 Herbert Kraus: Das „Forum der Jugend“ im dritten Jahr. In: Neue Wege 20 (1964), Nr. 187,
S. 24–25, hier S. 24.
378 Niederle: Der Sprache auf der Spur. In: protokolle 24 (1989), H. 2, S. 59.
379 Ebd.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
182 Die Österreichische Gesellschaft für Literatur (1961–1975)
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437