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ideologische Funktion er ihr beimaß. Im Anschluss daran wird seine Praxis als
Literaturkritiker näherer Betrachtung unterzogen und anhand einiger Beispiele
charakterisiert, wobei hier der Blick auf die Förderung österreichischer Auto-
rinnen und Autoren gerichtet ist.
Kraus entwickelte Richtlinien, die seine „Praxis des Managements“ aufschluss-
reich darlegten. Diese brachte er Diplomatinnen und Diplomaten im Zuge des
Seminars „Kultur in Österreich und ihre Wirkung im Ausland“ näher, das im
Rahmen der vom Außenministerium veranstalteten Schulung „Österreichische
Kultur im Ausland“ im November 1977 stattfand. Diese „Handregeln für das
kulturelle Management“ geben einen aufschlussreichen Einblick in seine Arbeits-
weise und nehmen sich wie folgt aus:
1) Herausfinden der Multiplikatoren, also Kritiker, Journalisten, Veranstalter
etc.
2) Freundschaft schließen mit diesen Multiplikatoren.
3) Erkennen von vorherrschenden und des zu erwartenden kulturellen Trends,
4) das Offerieren jener Qualitäten des eigenen Landes, die diesem Trend ent-
gegenkommen,
5) Aufspüren der Zukunftsimpulse des eigenen Landes, um sie in einen Dialog
mit denen des Gastlandes zu bringen,
6) größte Vorsicht bei Klischees der Vergangenheit, weil sie unglaubwürdig
machen,
7) Die Vergangenheit soll nur dann lanciert werden, wenn die Beschäftigung
mit ihr der Zukunftsentwicklung nützt.
8) Die kulturelle Ausrichtung auf ein Paradies der Vergangenheit ist für die
Wirtschaft und die Kompetenz der Zukunftsentwicklung lebensgefährlich.
9) Es ist zu beachten, daß der allgemeine Trend der gesamten gesellschaftlichen
Entwicklung eine ungeheure Intellektualisierung der Kultur und aller Lebens-
bereiche ist.
10) Eine wahre Übernationalität baut sich nur auf einer bewußten nationalen
Identität auf.6
Diese „Handregeln“ geben direkten Aufschluss über Kraus’ literaturvermitteln-
de Tätigkeit, die eng mit den Medien verknüpft ist („Multiplikatoren“), darüber
hinaus den Aspekt des Bewertens von „kulturellen Trends“ beinhaltet und ein
„Österreich-Bewusstsein“ ins Treffen führt, das stets auf die Darstellung nach
außen hin orientiert ist und für kulturpolitische Ambitionen nutzbar gemacht
wird, jedoch nicht voraussetzungslos, sondern stets mit Blick auf die Zukunft.
Das kulturhistorische Stereotyp der Donaumonarchie, das seit den 1950er Jah-
6 Wolfgang Kraus: Praxis des Managements, NL WK, Sign.: 63/S42.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
195Wolfgang
Kraus und die österreichische Literatur
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437