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da sich damit eigentlich „alle Personen, Institutionen und Prozesse“ umfassen
lassen, die mit literarischen Texten umgehen, „von der physischen Herstellung
von Büchern als Produkt bis zur Diskussion von Deutungen im Literaturunter-
richt“.12
Das „Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie“ nimmt folgende Begriffs-
definition vor und kann, neben dem Pionierwerk von Neuhaus, als eines der
wenigen Lexika gelten, die sich der Definition dieses Begriffs annehmen. Als
Institution der Literaturvermittlung wird „jede direkt oder indirekt zwischen
Autor und Leser vermittelnde Einrichtung, Unternehmung oder Instanz“ bezeich-
net, darunter fallen „Veranstalter von Lesungen, Verlage […], Buchhandel, Bib-
liotheken, Lit[eratur]unterricht in den Schulen, Textpräsentationen im Internet
usw.“13
Mag die Definition des Begriffs zu weit gefasst sein, lässt er sich im Kontext
dieser Arbeit hinsichtlich Kraus’ divergierender und konvergierender Tätigkei-
ten anwenden, da er die Überschneidung von „Vermittler“ und Literaturbetrieb
in sich fasst und für Kraus gleichsam maßgeschneidert ist. Denn er war an vie-
len verschiedenen, die österreichische Literatur betreffenden Prozessen beteiligt,
die den institutionellen Rahmen der ÖGL, seine Lektorats- und Konsulententä-
tigkeit im Europa-Verlag umfassten, aber auch die Tätigkeit des Literaturkriti-
kers. Als Literaturvermittler lenkte er mittels diverser Medien die Aufmerksam-
keit auf fiktionale Texte, veranlasste die Bereitstellung derselben als
Programmleiter des Verlags und sorgte darüber hinaus für das Einordnen und
das Bewerten von Texten. Dabei ermisst sich der Erfolg der literaturvermitteln-
den Kommunikation an deren medialer Distribution, worin Kraus, wie in der
Folge zu zeigen sein wird, äußerst effektiv war. Da der Literaturvermittler nach
positiver Aufmerksamkeit für seine Tätigkeit strebt und dessen Arbeit ein zen-
traler Bestandteil seiner eigenen Identität ist, kommt „damit natürlich indirekt“14
auch ihm selbst Präsenz zu, wobei der Literaturvermittler naturgemäß mit ande-
ren „Kommunikationsangeboten“ konkurriert.
Kraus entwickelte Strategien, wie er möglichst viel Aufmerksamkeit für lite-
rarische Texte bzw. für Autorinnen und Autoren erzeugen konnte, denn er war
sich als Konsekrationsinstanz und Gatekeeper bewusst, dass es gesellschaftliche
Kontexte zu berücksichtigen galt, die durch ökonomische Aspekte und zeitöko-
nomische Aufmerksamkeit des Publikums reguliert werden. Kraus fungierte mit
seiner Tätigkeit als Literaturvermittler, der in einem „komplexen Beziehungs-
12 Ebd., S. 13.
13 Gebhard Rusch: Literaturvermittlung. In: Ansgar Nünning (Hg.): Metzler-Lexikon Literatur-
und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. 3. akt. u. erw. Aufl. Stuttgart, Weimar:
Metzler 2004, S. 443.
14 Neuhaus: Literaturvermittlung, S. 17.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Kraus als Literaturvermittler 197
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437