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geflecht“15 mit Autorin bzw. Autor, Text und Leserin bzw. Leser stand, als Relais,
und nur zu bestimmten Texten wurden Kontakte geschaltet. In der Folge wird
auch zu zeigen sein, dass bestimmte literarische Strömungen nicht zum zentra-
len Anliegen seiner literaturvermittelnden Tätigkeit zählten.
Da es der Literaturvermittlung meist um Belletristik zu schaffen ist, steht vor
allem die Textgattung Roman im Vordergrund. Auch Kraus hat sich in seiner
literaturkritischen und -vermittelnden Tätigkeit dieser Gattung verschrieben, es
finden sich innerhalb seines breiten literaturkritischen Œuvres nur eine Hand-
voll Rezensionen, die sich der Lyrik oder des Dramas annehmen. Bevor Kraus’
praktische Tätigkeit in den Fokus gerückt wird, soll jedoch zunächst sein Lite-
raturverständnis herausgearbeitet werden, das mit seinem Habitus bezüglich
dieser Vermittlungstätigkeit in unauflösbarem Zusammenhang steht. Erst durch
diese Charakterisierung lassen sich Kraus’ Tätigkeiten richtig einschätzen und
in der Folge analysieren.
Nach Pierre Bourdieu gilt der „Habitus“ als etwas in Sozialisationsprozessen
Erworbenes und umschreibt eine Reihe von sozialen sowie mentalen Dispositi-
onen und Handlungsmustern.16 Der Begriff umschreibt die mental habits eines
Akteurs im literarischen Feld und bezeichnet das „verinnerlichte Soziale“, wobei
dem Subjekt nicht die Handlungsfähigkeit abgesprochen, sondern der Akteur
in der Eigenheit seiner Epoche dargestellt wird. Wie Christian Klein zusammen-
gefasst hat, ist der Habitus „die internalisierte, unbewusste, von der jeweiligen
Herkunft mitbestimmte Folie, nach der soziales Handeln und Wahrnehmen
gesteuert werden. Der Habitus objektiviert sich in allen Lebensäußerungen“.17
Mit diesem Begriff treten die „aktiven, erfinderischen, ‚schöpferischen‘ Fähig-
keiten des Habitus und des Akteurs“18 hervor, er bezeichnet etwas „Erworbenes“
und zugleich ein „Haben“. Die Präferenzen, die der Akteur durch den „Habitus“
setzt, sind dabei zwar stilistischer, politischer oder religiöser Natur, aber nicht
einfach dessen Herkunft zuzurechnen, da sich diese erst aus der zusammenwir-
kenden Konstellation von Habitus und literarischer Welt ergeben und somit
einer permanenten Transformation unterworfen sind.
Hans Ulrich Wehler hat darauf hingewiesen, dass der Habitus in der Regel
automatisch, gleich einem Instrument funktioniert und mit den Verhaltenswei-
sen gleichzusetzen ist, die der Körper artikuliert, wobei diese Überzeugungen,
Hoffnungen, Werte oder Vorurteile – ebenso wie sich Körpersprache artikuliert
15 Ebd., S. 16.
16 Vgl. Bodo Plachta: Literaturbetrieb. Paderborn: W. Fink 2008 (= UTB 2982), S. 13 f.
17 Christian Klein: Grundfragen biographischen Schreibens. In: Ders. (Hg.): Handbuch Biogra-
phie. Methoden, Traditionen, Theorien. Stuttgart, Weimar: Metzler 2009, S. 424–428, hier
S. 426.
18 Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 286.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
198 Wolfgang Kraus und die österreichische Literatur
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437