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bereiche“,53 sodass in der folgenden Darstellung auf eine scharfe Trennung auch
hinsichtlich der verschiedenen Nationalliteraturen, die Kraus hier behandelte,
verzichtet werden muss. Eher soll Kraus’ Verhältnis zur Literatur der regimekri-
tischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller kursorisch dargestellt werden, um
näher zu beleuchten, warum er diesen Werken zentrale Bedeutung beimaß.
Hinsichtlich des Romans Wie die Macht schmeckt (Nočný rozhovor, 1966) von
Ladislav Mňačko, der 1968 im Zuge des Einmarschs der Truppen des „Warschau-
er Paktes“ in die ČSSR nach Österreich emigrierte, verweist Kraus darauf, dass
der Text „in der deutschen Übersetzung des Molden-Verlages sozusagen schwarz
über die Grenze“54 gewandert sei. Kraus gilt der Roman als ein „Schlüsselwerk
über das uns oft so unerklärliche Geschehen in den kommunistischen Staaten“
und er bewertet es als ein „Zeitdokument“, das „nicht hoch genug einzuschät-
zen“55 sei.
Auch bezüglich des Romans Bankett in Blitwien (Banket u Blitvi; dt. Überset-
zung von Božena Begović und Reinhard Federmann, Stiasny 1963) des serbo-
kroatischen Autors Miroslav Krleža, hält Kraus fest, dass er in dieser Form nie
in Jugoslawien hätte erscheinen können, obwohl dieser doch „zu den engsten
persönlichen Freunden Titos zählte“. Er erwähnt, dass Krleža in Belgrad durch-
aus persona gratissima ist“, nennt den Autor „eine der literarischen Schlüsselfi-
guren der heute unter östlichem Einfluß stehenden Welt“ und findet es erstaun-
lich, dass „der Westen sein Schaffen nicht längst mit wachen und wißbegierigen
Augen verfolgt“.56
In der Besprechung des Lyrikbandes Herr Cogito (Pan Cogito, 1974) des pol-
nischen Schriftstellers Zbigniew Herbert, war für Kraus der „wahrscheinlich
deutlichste Aufruf zum heroischen Widerstand in der Zeit der Volksrepublik“,57
und Kraus hält hinsichtlich des „Kulturraums“, dem der Autor entstammte, fest:
Die Polen sagen, sie gehören zu den Ländern westeuropäischer Kultur, obwohl sie
geographisch in Osteuropa gelegen seien. Die vorherrschende Religion ist katho-
53 Klaus Städtke, Christine Engel (Hg.): Russische Literaturgeschichte. 2. akt. u. erw. Aufl. Stutt-
gart, Weimar: Verl. J. B. Metzler 2011, S. 355.
54 Wolfgang Kraus: Anatomie einer Volksdemokratie. Ladislav Mňačko und sein neuer Roman
über das Regime der Tschechoslowakei. In: Die Zeit, Nr.12, 24. März 1967.
55 Ebd.
56 Wolfgang Kraus: Miroslav Krležas Hauptwerk Bankett in Blitwien. In: Wort in der Zeit 10
(1964), H. 1, S. 57; Die Besprechung erschien unter dem Titel: Hintergründe einer östlichen
Diktatur. In: Die Presse, 18. Jänner 1964; sowie als: Anatomie eines Oststaates. In: Die Zeit,
29. November 1963.
57 Krzysztof Koehler: Literatur der Gegenwart. In: Wacław Walecki (Hg.): Polnische Literatur.
Annäherungen vom Mittelalter bis zum Ende des 20.
Jahrhunderts. 2. Aufl. Hamburg: Igel Verl.
Literatur & Wissenschaft 2011, S. 235–254, hier S. 243.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Kraus als Literaturvermittler 207
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437