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Jahrhunderts einhergegangen war und dem er einen eigenen Essayband mit
dem Titel Nihilismus heute oder Die Geduld der Weltgeschichte (1983) widmete,
„Religiosität mit humaner Wertbezogenheit“ entgegenzusetzen wäre: „Man könn-
te ein neues Wort wählen, das die tätige Orientierung auf humane Werte akzen-
tuiert: ‚Valorismus‘ in religiöser Haltung. ‚Valorativ‘, das wäre mehr als konser-
vativ und wertbewahrend: nämlich wertaktivierend.“96
Einer der großen österreichischen katholischen Denker war für Kraus Friedrich
Heer,97 der in und außerhalb Österreichs als „der intellektuelle Repräsentant des
sich selbstkritisch erneuernden österreichischen Katholizismus“ wahrgenom-
men wurde, der aufgehört hatte, „die Schlachten des Antimodernismus zu schla-
gen“ und „sich mit der Wissenschaft ebenso auszusöhnen trachtete wie mit der
Demokratie“.98 Heer pendelte zwischen Journalismus und Wissenschaft, veröf-
fentlichte u. a. in der „Furche“ und „FORVM“, war darüber hinaus in Rundfunk
sowie Fernsehen präsent und versuchte mit seinem Denken „die österreichische
Lagermentalität“ aufzulösen.99
Kraus, der Heer 1981 den Donauland-Sachbuchpreis vermittelte und auch
die Laudatio hielt, sah in ihm eines der „geistigen Wunder für meine Generati-
on“ und bezeichnete ihn als „neugierig, vital, begabt genug, um die alte huma-
nistische Tradition zu erkennen, in sie einzutreten und trotzdem für alle Schre-
cken, die nach 1938 geschahen, offen zu sein“:
Friedrich Heer war einer der ganz wenigen, die meiner Generation die alte Welt,
die Geschichte, aus dem Geist des christlichen Humanismus und gleichzeitig mit
jenem Erleben nahegebracht haben, das von den Katastrophen des Krieges, [...]
gezeichnet war, […] trotz Hunger und Kälte waren Mut und Idealismus geradezu
die Luft, die man atmete. Die Artikel, die Friedrich Heer damals […] schrieb, sei-
ne Bücher [...] hatten jene Vision von Zukunft und jene Kraft der Auseinanderset-
zung mit der Vergangenheit, an denen viele sich begeistern konnten […]. Diese
Tätigkeit der ständigen Auseinandersetzung, die Herausforderung, am unmittelbar
96 Ders.: Nihilismus heute oder Die Geduld der Weltgeschichte. Wien, Hamburg: Zsolnay 1983,
S. 156.
97 Vgl. zu Friedrich Heer: Evelyn Adunka: Friedrich Heer (1916–1983). Eine intellektuelle Bio-
graphie. Innsbruck, Wien: Tyrolia 1995; Adolf Gaisbauer, „Da ich nur darauf angelegt war,
Friedrich Heer zu werden…“ Heer-Studien: Materialien, Recherchen, Analysen, Reflexionen.
Wien: o. V. 2010, S. 1587. URL: https://www.oefg.at/legacy/text/arge_heer/Friedrich_Heer.pdf
[zuletzt aufgerufen am 15.1.2020].
98 Anton Pelinka: Friedrich Heer. Die zentrale Figur des intellektuellen Lebens der Zweiten Repu-
blik Österreich. In: Richard Faber, Sigurd Paul Scheichl (Hg.): Die geistige Welt des Friedrich
Heer. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2008, S. 11–19, hier S. 13 f.
99 Ebd., S. 18.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Literatur und Katholizismus 219
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437