Seite - 242 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
Bild der Seite - 242 -
Text der Seite - 242 -
„schon ungeduldig, Dein Buch, das ich erst angefangen habe, weiterzulesen“.207
Kraus schätzte an Handkes Werken zunehmend die „Einstellung zu Geschichte,
Altbestehendem, das lebendig ist, dazu die unmittelbar heutig-menschlichen
Momente, die eben auch Festigkeit ergeben, das alles in einer vom Alltag, der
Routine, der Schematik abgelösten Sprache, die ich gern sprechen wollte“.208
Kraus setzte sich ebenso dafür ein, dass Handke einige Literaturpreise erhielt,
bei denen er als Juror die Entscheidungshoheit hatte: „Du weißt, daß ich Dich
immer vorschlage, wenn ich irgendwo bin. Übrigens war ich seit 1970 bei keiner
staatlichen Literaturpreisjury mehr geladen […].“209 (vgl. Kapitel 4.3.3)
Ein anderer Autor, dessen Erstlingsroman Kraus besonders hoch einschätzte,
war Matthias Mander (Pseudonym für Harald Mandl), der mit Der Kasuar (1979)
in seinem 46. Lebensjahr seinen ersten Roman veröffentlichte: „Manders dick-
leibigen Roman ‚Der Kasuar‘ gelesen, ein intellektuelles, etwas expressionistisch
wortreiches Buch […]. Sehr nervös, aber breit geschrieben, einmal nicht von
unten, sondern von oben gesehen. […] Er hat viel interessante Realität einzu-
bringen, dazu auf Niveau. Der Stil, wenn auch oft überzogen, hält die Qualität
seiner erheblichen sachlichen Information.“210 Der Roman wurde im November
1979 in der ÖGL präsentiert, und Mander, der als Industriemanager und Lehr-
beauftragter an der Wirtschaftsuniversität Wien tätig war, wurde auch der Anton-
Wildgans-Preis verliehen (vgl. Kapitel 4.3.3.1). Kraus konstatierte, dass es in den
letzten zehn Jahren „nur sehr wenige Romane von solch hohem intellektuellem
Standard“ gegeben habe und lobte den Text, da dieser sich auf die österreichi-
sche Zeitgeschichte seit dem Zweiten Weltkrieg beziehe und „in einem flirren-
den, expressiven Stil, der in sich schon die Ruhelosigkeit der heutigen Welt“
enthalte, verfasst sei: „Dieser Roman enthält viele wichtige Elemente unserer
Kultur, er zeigt, wie Menschen, die bewußt in dieser Kultur leben, mit sehr kon-
kreten Problemen der Wirtschaft und Gesellschaft konfrontiert sind und sie zu
lösen versuchen […]. Das Buch ist ein literarisches Zeitdokument von erhebli-
chem intellektuellem Rang, dessen Lektüre zur Selbsterkenntnis beitragen
kann.“211
Wolfgang Kraus sah sich selbst im Rahmen seiner literaturvermittelnden Praxis
„ganz in der Tradition der Aufklärung, der Toleranz, der Humanität“, wie er im
Rahmen eines Fortbildungsseminars für die Beamten des Auslandskulturdiens-
207 Ders. an Handke, 12. September 1986, Leihgabe Widrich.
208 Ders. an Handke, 1. November 1986, Leihgabe Widrich.
209 Ders. an Peter Handke, 21. Juni 1987, Leihgabe Widrich.
210 Ders.: Tagebuch, 21. Oktober 1979, NL WK.
211 Ders: Ein literarisches Zeitdokument. In: Die Industrie, 7. Dezember 1979.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
242 Wolfgang Kraus und die österreichische Literatur
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437