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weltpolitische Probleme, unter besonderer Berücksichtigen des sowjetischen
Raums“ weitergeführt, andererseits wurde versucht „auch einen belletristischen
Programmzweig zum Blühen zu bringen.“228 Wie Murray Hall bemerkt hat, war
die österreichische Verlagslandschaft der 1970er Jahre „von zwei Sternen geprägt“,
denn das Verlagsleben wurde bis dahin „von zwei überregionalen Verlagen, näm-
lich Molden und Residenz“229, dominiert. Der Europa-Verlag war in den 1970er
Jahren einer der wenigen österreichischen Verlage, die unter Kraus’ Ägide öster-
reichische Literatur verlegten, daneben sind noch Jugend & Volk, Amalthea und
Styria zu nennen; letzterer widmete sich der Veröffentlichung österreichischer
Schriftstellerinnen und Schriftsteller, vor allem über Anregung von Hans Wei-
gel.
Für Kraus, der international prominente Namen heranbrachte wie Manès
Sperber, François Bondy, Martin Esslin, Claudio Magris, E.
M. Cioran, Raymond
Aron, Gabriel Marcel, Ernst H. Gombrich, Jean Baudrillard, Lewis Mumford,
Bertrand Russell sowie viele jüngere österreichische Autoren wie z. B. Franz Rie-
ger, Peter Daniel Wolfkind, Erwin Gimmelsberger, Alfred Paul Schmidt, Ernst
Hinterberger sowie von seinem 1970 verstorbenen Freund Herbert Zand eine
sechsbändige Werkausgabe herausbrachte, endete seine vierjährige Tätigkeit als
Konsulent jedoch mit einer schweren Enttäuschung: „Verlagsabschnitt geht als
Groteske zuende [sic]. […] Klar gegebene Zusagen wurden innerhalb von weni-
gen Wochen gebrochen, mit einer Schamlosigkeit und Amoral, wie ich sie auf
diesem Gesprächs- und Geschäftsniveau nie für möglich gehalten hätte. Das
Erstaunliche dabei ist die Abwesenheit von Begründungen des Haltungswech-
sels. Vielleicht eine Gewohnheit für Leute, deren Parteilinie wechselt.“230
Wie die Wochenzeitschrift „profil“ im Juli 1975 berichtete, hatte der Euro-
pa-Verlag Ende Mai „seinen renommiertesten Mitarbeiter“ verloren, denn Kraus
hatte „seinen Hut vom Haken seines ‚literarischen Büros‘“ genommen und auf
die „20.000-Schilling-Konsulentengage“ verzichtet.231 Kraus gab „‚Einsparungs-
gründe‘“ für seinen Abgang an, während „Kraus- und Europaverlag-Kenner“
vielmehr annahmen, dass „der wahre Grund für den Abgang“ Erfolglosigkeit
gewesen seit.232 Das Management des Verlags habe sich bei seinem Eintritt „Wun-
derdinge vom Literatur-Tausendsassa“ erwartet, da Kraus über „ausgezeichnete
Beziehungen“ verfügte und „als Rezensent bei deutschen Regionalzeitungen
bestens bekannt war“, verfügte er doch „über eine Kartei von 35 Kontaktleuten,
228 Ebd., S. 20.
229 Murray
G. Hall: Die österreichische Verlagslandschaft der 70er Jahre. In: Friedbert Aspetsber-
ger (Hg.): Zeit ohne Manifeste? Zur Literatur der siebziger Jahre in Österreich. Wien: ÖBV
1987 (= Schriften des Institutes für Österreichkunde 49/50), S. 66–78, hier S. 76.
230 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 15. März 1975, NL WK.
231 N. N.: Kraus geht. In: profil, 2. Juli 1975.
232 Ebd.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Der Literatur-Organisator Kraus 247
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437