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denen er seine Besprechungen verkaufte – und stand im Ruf, der Kulissenschie-
ber der österreichischen Literaturszene zu sein“.233 „Profil“ war zu entnehmen,
dass Kraus das Lektorat des Verlags zurückgedrängt habe und er allein in Gesprä-
chen mit Direktor Erich Pogats über die Aufnahme von Autorinnen und Auto-
ren ins Verlagsprogramm entschieden habe; laut „profil“ habe Kraus das altein-
gesessene Lektorat unter Pepper so weit zurückgedrängt, dass nur noch drei bis
vier Titel von den jährlichen vierzig Verlagstiteln über dessen Büro liefen: „Den
Rest schaffte Kraus – unterstützt von seiner Mitarbeiterin Frau [Helga] Perz –
in Eigenregie.“ Ende 1974 dürfte die „Auseinandersetzung endgültig zur inner-
betrieblichen Sahnetorteschlacht“ geraten sein, denn Peppers langjährige Mit-
arbeiterin wurde entlassen; dieser schrieb einen offenen Brief, in dem er die
Personalpolitik sowie Kraus’ Rolle innerhalb des Verlags angriff.234
Auch Kraus’ Mitarbeiterin wurde schließlich gekündigt, da die Gewerkschaft
intervenierte: „Als ein neuerlicher Eintritt seiner Mitarbeiterin am Gewerk-
schaftsveto scheiterte“, verabschiedete sich auch Kraus: „‚Ich würd’ schon sagen‘“,
so zitiert ihn die Zeitschrift „profil“, „‚es war eine Entwicklung von beiden Sei-
ten‘.“235 Dieser Sachverhalt dürfte durchaus mitgespielt haben, wie sich Kraus’
Tagebuch entnehmen lässt: „Vergangenen Montag die unglaubliche Besprechung
mit Pogats: wegen der Programmkürzung nur mehr 10 Stunden Sekretärin nötig.
H[elga] P[erz] soll, trotz definitiver Zusicherung im Dezember […], nicht wie-
der eingestellt werden. Damit fällt mein Büro weg. Mein Nettogehalt reduziert
sich ohnedies auf die Hälfte. Das bedeutet […] meinen Weggang.“236 Kraus konn-
te diesen Verlust jedoch kompensieren und sofort neues symbolisches Kapital
akkumulieren, stand er doch ab 1975 im Dienst des Außenministeriums, wo er
in der Folge eine „Kulturkontaktstelle“ aufbaute (vgl. Kapitel 5.3).237
Eines der Projekte, die Kraus sofort nach seiner Bestellung als Konsulent in
Angriff genommen hatte, war die Edition einer Werkausgabe Herbert Zands,
deren erster Band Letzte Ausfahrt bereits 1971 erschien. Kraus hatte „[z]wei Stö-
ße von Manuskripten, in der Höhe von etwa einem Meter“238 bei der Sichtung
des Nachlasses entdeckt. Die weiteren fünf Bände erschienen in kurzer Folge:
die Aufzeichnungen Kerne des paradiesischen Apfels noch im selben Jahr, 1972
233 Ebd.
234 Vgl. Leserbriefe. In: profil, 24./25. Oktober 1974.
235 Ebd.
236 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 2. März 1975, NL WK.
237 Vgl. Ders.: Tagebuch, 15.
März 1975, ebd.; vgl. auch Tagebucheintrag vom 20.
März 1975: „Im
E[uropa]V[erlag] habe ich eine Runde gewonnen, aber die nächste kündigt sich schon an:
wegen drei, vier Büchern verbinde ich mich nicht mit dem Gewerkschaftsbund. Im Außenmi-
nisterium wird das Service-Büro wohl klappen, aber im November gibt’s einen neuen Minister
– alles fließt, und der Streit ist der Vater aller Dinge.“
238 Wolfgang Kraus: Dichter von der Hauptschule. In: Saarbrücker Zeitung 5./6. Juli 1980.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
248 Wolfgang Kraus und die österreichische Literatur
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437