Seite - 252 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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Folge veröffentlicht werden, aber da die Reihe „‚natürlich nicht marktgerecht‘“249
war, wie sich Kraus äußerte, verbanden sich damit werbetechnische Schwierig-
keiten und er konnte erfolgreichere Autorinnen und Autoren nicht langfristig
an den Verlag binden. So wechselte Jutta (heute: Julian) Schutting nach ihrem
erfolgreichen Debüt in dieser Reihe zum Residenz-Verlag.
Im Rahmen der Reihe erschienen nur mehr Werner Schneyders Empfehlung der
einfachen Schläge (1974), Alfred Paul Schmidts Als die Sprache noch stumm war
(1974) sowie Erwin Gimmelsbergers Bericht für Doktor Simon und andere Erzäh-
lungen (1974). Kraus, der in der ersten Hälfte der 1970er Jahre wiederholt die „Rau-
riser Literaturtage“ besuchte, dürfte dort seine neuen Autorinnen und Autoren für
den Europa-Verlag rekrutiert haben. Diese Initiative des Salzburger Schriftstellers
und Journalisten Gimmelsberger, die 1971 als „Literaturtage in der Pinzgauer
Marktgemeinde Rauris“ begann, zeugt von der „kulturellen Aufbruchsstimmung
der frühen siebziger Jahre“.250 Im Tagebuch hielt Kraus fest: „Gute Erinnerung an
Rauris, an den ruhigen, ernsten Gimmelsberger, den freundlichen Wolfkind, den
felsigen Rieger, den klugen, nüchternen Werner Schneyder bei der Jause in Salz-
burg. Keine so wesentlichen Gespräche wie in Paris, aber doch recht erfreuliche.“251
Ein weiterer Autor, der durch die Publikation im Europa-Verlag verstärkt von
Kraus gefördert wurde, war Ernst Hinterberger, dessen Wer fragt nach uns.
Geschichten von kleinen Leuten, armen Hunden und Außenseitern im Jahr 1975
erschien. Bei der Einleitung zu Hinterbergers Lesung aus dem Band in der ÖGL
meinte Kraus, er habe Hinterberger im Café Haag in Wien getroffen, ihn nach
Herbert Zand befragt und zu einem Text über den jüngst verstorbenen Freund
angeregt. Hinterberger habe ihm daraufhin eine Erzählung gebracht, die er mit
Erinnerungen aus seinem eigenen Leben angereichert und die Kraus dem Euro-
pa-Verlag vorgelegt habe. Kraus fand den Text „erstaunlich“, da Hinterberger
„Arbeiter ist“ und „von ganz Unten“ komme und dennoch „plötzlich der Impuls
entstand zu schreiben, zu lesen, ohne äußere Anregung“, was ihn wiederum an
Herbert Zand erinnert habe, denn dieser sei ja Sohn eines Bauern gewesen.
Dadurch sei Hinterberger befähigt, ganz aus seinem Milieu heraus zu schreiben,
„welches ohne Sprache“ sei, und eine authentische „Arbeiterliteratur“ zu schaf-
fen ohne die ansonsten stattfindenden „argen Verzerrungen“ durch Intellektuel-
le.252 Der Waschzettel pries Hinterbergers Buch als „[e]rzähltes Leben vom Ran-
249 Ebd.
250 Hildemar Holl: Literaturgeschichte Salzburg von 1945 bis zur Gegenwart. In: Ernst Hanisch,
Robert Kriechbaumer (Hg.): Salzburg. Zwischen Globalisierung und Goldhaube. Wien, Köln,
Weimar: Böhlau 1997, S. 671–734, hier S. 711.
251 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 19. März 1974, NL WK.
252 Ein Mitschnitt der Lesung am 5.
Juni 1975 ist abrufbar auf der Homepage der Österreichischen
Mediathek: http://www.mediathek.at/atom/017828C2-026-0058C-00000BEC-01772EE2 [zuletzt
aufgerufen am 15.1.2020].
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
252 Wolfgang Kraus und die österreichische Literatur
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437