Seite - 253 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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de unserer Gesellschaft“ an, auf die „Realitätsnähe“ des Textes wurde explizit
hingewiesen und der Autor in die Nähe Maxim Gorkis gerückt.253 Hinterberger
fügt sich in den literaturhistorischen Kontext der 1970er Jahre ein, der „mit dem
Etikett der Neuen Authentizität versehen worden“ ist, da das traditionelle Erzäh-
len, im Sinne des Erzählens einer Gesichte in Misskredit geraten war und abge-
löst wurde durch „autobiographisch verbürgte Erfahrung und Anschauung“.254
Ein anderer Autor, den Kraus quasi für den Verlag entdeckte, war Peter Vuji-
ca, der unter dem Pseudonym Peter Daniel Wolfkind seine literarischen Texte
publizierte. Vujica, 1937 geboren, bezeichnete sich selbst als „politisch konser-
vativen Intellektuellen“, war zum Zeitpunkt seiner Entdeckung als Musikkritiker
bei der „Kleinen Zeitung“ in Graz tätig und fungierte zwischen 1982 und 1993
als Intendant des Festivals „Steierischer Herbst“. Bereits für sein im Europa-Ver-
lag erschienenes Debüt Mondnacht (1972), erhielt Wolfkind den österreichischen
Förderungspreis für Literatur. Kraus protegierte Wolfkind, weil er „‚den Ein-
druck [hatte], daß er es [das Schreiben literarischer Texte, Anm. d. Verf.] könn-
te‘“, wie „profil“ berichtete, und in seinen Werken „ein musikalisch-komposito-
risches Prinzip“255 erblickte. Auch Der grüne Zuzumbest (1973) erschien bei
Europa, jedoch gab es um den Autor einen kleinen Skandal, der sich anhand des
Textes Vorfall in St. Wolfgang entzündete, der im Februar 1973 im Radiosender
Ö1 ausgestrahlt worden war und im titelgebenden Kurort für Empörung sorgte:
„Die Story […] ist den Einwohnern von St. Wolfgang nicht zu Unrecht in die
Knochen gefahren. Man liest von verstopften Straßen, einer schimmelnden
Schutzmauer, lockeren Pflastersteinen, grauen Arkaden, schmutzigem Weiß des
Kirchturms, trübem Weiß der Wellenränder […]. Schließlich gibt […] Wolfkind
noch eine ekelerregende Schilderung über einen Kellner mit verfaulendem
Arm.“256
Der damalige Kurdirektor des Fremdenverkehrsorts schrieb dann auch an
Ernst Wolfram Marboe, den Leiter der Abteilung Hörspiel beim ORF, sowie an
ORF-Intendanten Gerd Bacher:
Sie haben wohl annehmen müssen, daß kein Ort – egal wo – auf den derartigen
Verleumdungen […] projeciert [sic] werden, dies widerspruchslos hinnimmt. Mag
sein, daß Sie daran interessiert sind, die Arbeiten des Herrn Vujica zu fördern –
253 Waschzettel zu Ernst Hinterbergers Wer fragt nach uns. Geschichten von kleinen Leuten, armen
Hunden und Außenseitern, EV-Archiv.
254 Johann Sonnleitner: Ernst Hinterberger: Kleine Leute. Roman einer Zeit und einer Familie. In:
Klaus Kastberger, Kurt Neumann (Hg.): Grundbücher der österreichischen Literatur seit 1945.
Erste Lieferung. Wien: Zsolnay 2007 (= Profile 14), S. 86–94, hier S. 88.
255 N.N.: Poet des Verfalls. In: profil, 14. März 1974, S. 32–33, hier S. 33.
256 Franz Schwabeneder: Literarischer Schmarrn über St.
Wolfgang. In: Oberösterreichische Nach-
richten, 23. März 1973.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Der Literatur-Organisator Kraus 253
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437