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ßes. Fussenegger lehnte das Gedicht ab und stimmte gegen einen Abdruck, wur-
de jedoch von ihren Kollegen überstimmt und drohte, aus dem Herausgeberteam
auszutreten. Sie versuchte in der Folge, Kraus davon zu überzeugen, ebenfalls
gegen einen Abdruck zu stimmen: „Es erfolgte ein gegenseitiger Austausch der
Argumente. Schließlich bitte ich Sie meinen Standpunkt zu respektieren und
meiner Ablehnung dieses einen Textes zuzustimmen. Ihre Antwort ist: ‚Also
gut...‘ im Sinne einer zwar gegen Bedenken, doch eindeutig gegebenen Zustim-
mung. […] Ich bitte Sie nun […] mir zu bestätigen, ob mein Eindruck vom
Ergebnis unseres Gesprächs richtig war.“269 Kraus stimmte dem Abdruck letzt-
endlich zu, er äußerte sich gegenüber Pömer bezüglich dieses Konflikts folgen-
dermaßen:
[D]a Missverständnisse aufgetreten zu sein scheinen, möchte ich zum Sturm im
Wasserglas nun auch schriftlich Stellung nehmen. Nachdem ich lange mit Frau
Dr. Fussenegger telefoniert habe, um sie zu bitten, mit der Verwendung des
ursprünglichen Titels einverstanden zu sein, mußte ich zur Kenntnis nehmen, daß
Frau Fussenegger sich dazu leider nicht entschließen kann. Ich bot auch an, mei-
nen Namen als verantwortlich einzufügen, falls das nötig sein sollte. Ich selbst bin
durchaus dafür, daß man dem Autor, wenn er sich schon geweigert hat, den Titel
auszutauschen, seinen Willen läßt und das Gedicht trotzdem druckt, da es gut ist.
Ich möchte nur darauf hinweisen, daß weder die SPÖ noch die ÖVP in den Zeiten
der Opposition das Parlament verlassen und gesprengt haben, wenn sie überstimmt
wurden. Ich möchte daher auch meine beiden Mitherausgeber bitten, jetzt und in
Zukunft die demokratischen Spielregeln einzuhalten und nicht gleich mit dem
Austritt aus dem Herausgeberkollegium zu drohen, wenn sie überstimmt werden.270
Im Zuge dieser Auseinandersetzung hatte Bäcker bei Bisinger angefragt, ob er
den Titel ändern wolle, was dieser ablehnte: „es ist kein scheiß-gedicht, weder
scheißt Du darauf wie man fürs erste meinen könnte, noch ist es scheiße, und
daß Du darin auch scheißt, macht den titel nicht plausibler. willst Du ihn unbe-
dingt lassen?“271 Gegenüber Fussenegger verteidigte Bäcker das Gedicht damit,
dass „weder gedicht noch titel“ gegen „presserechtliche bestimmungen“272 ver-
stoßen würden.
Das Gedicht erschien schlussendlich mit einem „Votum separatum“ Fusse-
neggers, das sich wie folgt ausnahm: „Ich erkläre, daß ich mich gegen den Abdruck
des Textes auf Seite 94 ausgesprochen habe. Ich halte den Text vor allem hin-
269 Gertrud Fussenegger an Kraus, 11. September 1975, VL HB.
270 Wolfgang Kraus an Karl Pömer, 13. September 1975, ebd.
271 Heimrad Bäcker an Gerald Bisinger, o. D., ebd.
272 Ders. an Gertrud Fussenegger, 11. September 1975 [derselbe Brief ging auch an Kraus], ebd.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Der Literatur-Organisator Kraus 257
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437