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über „ein wesentliches Instrument, Einfluss und Macht im Feld auszuüben, da
ja die Preisvergabe die Anerkennung und Definition dessen, was auszeichnungs-
würdige Literatur ist, ausdrückt“.284 Als Juror war er jährlich in mehreren ver-
schiedenen Jurys ein entscheidender Faktor, insbesondere in Bezug auf institu-
tionalisierte Preisvergabekomitees, denn wie Pierre Bourdieu festgehalten hat,
erlangt damit die „Logik der Konkurrenz um kulturelle Legitimierung“ inner-
halb des literarischen Feldes Wirksamkeit, da Jurorinnen und Juroren als „Aus-
lese- und Bestätigungsinstanzen“285 fungieren. Entscheidungen über Preisverga-
ben zeigen somit eine öffentliche Reputation an, verstärken diese oder
begründen sie sogar zuallererst. Sie legitimieren die ideologischen und ästheti-
schen Schwerpunkte des literarischen Feldes gleichzeitig als indizierende und
lenkende Instanz, um diese dauerhaft bewahren zu können. Daher ist es not-
wendig, entweder solche Schriftstellerinnen und Schriftsteller auszuzeichnen,
die bereits Erfolg hatten oder solche, denen dies mit hoher Wahrscheinlichkeit
gelingen wird:
Aus der Bedeutung des symbolischen Kapitaltransfers bei der Vergabe von Litera-
turpreisen ergibt sich die zentrale Rolle ihrer Performativität. Öffentliche Verlei-
hungsfeiern stellen ein unverzichtbares Element für die Entfaltung und zweckge-
richtete Einsetzung der Handlungsqualität ‚soziale Magie‘ von Auszeichnungen im
literarischen Feld dar. Hier wird ihre symbolische Dimension für kurze Zeit sinn-
lich wahrnehmbar. Der jeweilige Laureat verkörpert Momente lang einen Idealty-
pus der zu erzeugenden, inneren Vorstellung aller an der Vergabe Beteiligten.
Anschließend geht er in der Summe von Preisträgern auf.286
In seiner Rolle als Juror trat Kraus oftmals in der Rolle des Laudators in Erschei-
nung, ein zusätzliches Moment, seinen Idealtypus der Schriftstellerin bzw. des
Schriftstellers öffentlichkeitswirksam zu propagieren.
Nur vereinzelt saß Kraus auch bei staatlichen Preisen in der Jury, wo er ehe-
maligen Weggefährten wie z. B. Fritz Habeck den Preis der Stadt Wien (1982)
zuschanzen konnte, für den er auch die Laudatio hielt.287 Mit Beginn der 1990er
Jahre, als sein Einfluss innerhalb des literarischen Feldes abzunehmen begann,
nahm er verärgert zur Kenntnis, dass Oswald Wiener „als neuer großer Staat-
284 Peter Landerl: Der Kampf um die Literatur. Literarisches Leben in Österreich seit 1980. Inns-
bruck, Wien, Bozen: Studien-Verlag 2005, S. 182.
285 Pierre Bourdieu: Zur Soziologie der symbolischen Formen. Aus dem Frz. übers. v. Wolfgang
H. Fietkau. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1970, S. 79.
286 Judith S. Ulmer: Geschichte des Georg-Büchner-Preises. Soziologie eines Rituals. Berlin, New
York: de Gruyter 2006, S. 322.
287 „Am Vormittag Habeck beim Preis der Stadt Wien durchgekriegt!“ Wolfgang Kraus: Tagebuch,
1. April 1982, NL WK.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Literatur-Preise 261
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437