Seite - 278 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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Evelyn Schlag war die erste. Man vergrößerte ihre Fehler […] und überhörte die
enorme Begabung. […] Köhlmeier hat Phantasie, aber ich kenne Besseres von
ihm. Reich-Ranicki hält hier Hof und ist unerträglich, schulmeistert, auch wo
er lobt.“371
Kraus konnte unter den gewichtigen westdeutschen literaturbetrieblichen
Größen seine Favoritin Renate Schostack nicht als Erstplatzierte durchsetzen:
„[Erica] Pedretti, [Renate] Schostack, [Wolfgang] Hegewald die 3 Preise. Ich
wollte Schostack auf 1 – aber dennoch, vielleicht gab es das Schicksal der Auto-
rin, für die es wichtiger ist. Und großartig war auch ihre Geschichte.“372
Ein Kritiker der „Zeit“ urteilte, die meisten der vorgelesenen Texte seien epi-
gonal gewesen, da jeder „Autor, der hier liest, weiß, wie ‚Weltliteratur‘ heute
gemacht wird. Das meiste klingt dann auch wie ein Verschnitt aus Kafka und
Katherine Mansfield, Novalis und Bukowski. Es ist jene Epigonalität, die von
dem Schriftsteller des heutigen Biedermeier gefordert wird, jene geschickte Auf-
bereitung und Variierung etablierter literarischer Standards“.373
Der westdeutsche Schriftsteller Jörg Fauser las den Text Geh nicht allein durch
die Kasbah.374 Kraus fasste den Text sowie dessen Stil und Inhalt, wie auch die
anderen Mitglieder der Jury, als Unterhaltungsware auf, was diesem keineswegs
gerecht wird. Gegenüber Fauser äußerte Kraus sich:
[W]enn Sie in dieser Art einen Roman schreiben, so können Sie damit großen
Erfolg haben. Ich glaube, dass das eine Art zu schreiben ist, die von den Verlegern
– von manchen Verlegern – sehr gesucht wird […]. Es ist die Frage, in welche Lade
dieser Verlag, in welche […] Produktionslade [er] diesen Roman tun würde, […]
das ist ein begehrter Stil und ich würde als Verleger einen Roman dieser Art sehr
ernsthaft ins Kalkül ziehen, allerdings als Unterhaltungsroman, als Erfolgsroman,
der sicherlich bei einem breiten Publikum ankommt, sonst hätte ich Scheu es im
Sinn der Literatur zu qualifizieren […].375
Im Jahr 2013 hielt Michael Köhlmeier, der ebenfalls 1984 angetreten war und Fau-
ser kennengelernt hatte, in seiner Eröffnungsrede zum Bachmann-Wettbewerb
eine Rede, die eine Wiedergutmachung an Fauser darstellte. Köhlmeier bezeich-
zeitung, 29. Juni 1984.
371 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 28. Juni 1984, NL WK.
372 Ders.: Tagebuch, 2. Juli 1984, NL WK.
373 Benedikt Erenz: „Weiterschreiben!“ In: Die Zeit, Nr. 29, 13. Juli 1984.
374 Jörg Fauser: Geh nicht allein durch die Kasbah. In: Ders.: Mann und Maus. Gesammelte Erzäh-
lungen II. Berlin: Alexander Verlag 2006, S. 326–336.
375 Wolfgang Kraus: Statement. Zit. n. Jörg Fausers Lesung beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb
in Klagenfurt 1984, Mini-DVD. Beilage zu Fauser: Mann und Maus [Transkription durch den
Verfasser].
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
278 Wolfgang Kraus und die österreichische Literatur
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437